Sicherheitshinweise – Legende und Wahrheit

Daniel Nitsch über die offiziellen Reisehinweise deutschsprachiger Länder    

Seit der Rosenrevolution hat sich Georgien zu einem Land mit sehr niedriger Kriminalitätsrate entwickelt, auch im europäischen Vergleich. Raubüberfälle, Entführungen und vorsätzliche Körperverletzungen unterschreiten durchaus die Raten in den deutschsprachigen Ländern. Die Gruselgeschichten der 1990er, als Entführungen, Raubüberfälle und Bandenkriege auf der Tagesordnung standen, gehören heute glücklicherweise ins Land der Geschichten. In diesem Licht sollen hier die offiziellen Reisehinweise der Außenministerien der drei deutschsprachigen Länder – der Bundesrepublik Deutschland, der Republik Österreich und der Schweizerischen Eidgenossenschaft – analysiert werden.

Zuerst einmal muss man zwischen Kerngeorgien und den besetzten Gebieten Südossetien und Abchasien differenzieren. Die Außenministerien aller drei Staaten raten von Reisen in die besetzten Gebiete ab. Das Hauptproblem ist, dass es in den Gebieten immer wieder zu bewaffneten Zwischenfällen kommt und Gegenden vermint sind. Die Botschaften können aufgrund des umstrittenen völkerrechtlichen Status dieser Gebiete keine Hilfe im Notfall leisten. Die georgischen Sicherheitskräfte haben dort keinen Einfluss und auch die regionalen Regierungen und Polizeikräfte haben die Gegenden nur teilweise unter Kontrolle.

Zu Abchasien gibt es zwar einige Reiseberichte im Netz, die besagen, dass das Land gefahrlos zu bereisen sei. Zu einer Reise nach Südossetien wird jedoch auch auf Reisehomepages abgeraten. In beiden Regionen wurden bereits Touristen entführt. Wikitravel rät sogar dazu, sich bei einer Reise in eine der beiden abtrünnigen Regionen eine bewaffnete Eskorte zu organisieren. Ein Ratschlag, der zumindest für Abchasien etwas übertrieben erscheint.

Für Kerngeorgien wird die Lage von den Außenämtern allgemein als ruhig angesehen. Das Außenamt der Bundesrepublik Deutschland schreibt, dass „in allen größeren Städten Georgiens, … die gleichen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen sind, die auch in Metropolen anderswo angewandt werden“. Sinngemäß schreiben das auch die zuständigen Ministerien Österreichs und der Schweiz. Die gegebenen Ratschläge sollten mit gesundem Menschenverstand ohnehin ständig beachtet werden: Keine Wertgegenstände offen zeigen, nicht mehr Bargeld als notwendig einstecken und bei einem Überfall keinen Widerstand leisten.

Etwas übertrieben ist unserer Ansicht nach das vorgeschlagene Verhalten bei Nacht: Die Schweiz rät nach Einbruch der Dunkelheit zu „besonderer Vorsicht“, Österreich rät, „abgeschiedene Plätze zu meiden“. Das Außenamt der BRD geht jedoch einen Schritt weiter und spricht eine konkrete Warnung aus: „In Tiflis gibt es gelegentlich Berichte über Raubüberfälle und Taschendiebstahl. Reisende sollten entsprechende Vorkehrungen treffen, sich bei Dunkelheit nach Möglichkeit nicht alleine auf der Straße aufhalten und auf eine angemessene Sicherung ihrer Unterkünfte achten“.

Ein Kritikpunkt ist, dass nur unbestimmte Angaben zur Häufigkeit der Vorfälle gemacht. Dadurch kann ein Reisender nicht zu einer eigenständigen Einschätzung einer möglichen Gefahrensituation gelangen. Der Hinweis auf „gelegentliche“ und „vermehrte“ Vorfälle ist keine Aussage, wie oft und in welchem Zeitraum tatsächlich bestimmte Dinge vorgefallen sind. Dieser Stil findet sich bei den offiziellen Reisehinweisen aller drei deutschsprachigen Staaten und zu nahezu allen Staaten der Erde wieder. Vor Taschendiebstählen und „gelegentlichen“ Raubüberfällen wird beispielsweise auch im sonst sehr sicheren Schweden gewarnt.

Wie die konkreten Zahlen zur Kriminalität wirklich aussehen zeigt die Statistik des United Nations Office on Drugs and Crimes: Die Kleinkriminalität in Georgien, ebenso wie in Armenien und Aserbaidschan, unterschreitet die Werte fast allenr europäischer Staaten, und zwar deutlich. 2009 wurden in Georgien 21,9 Raubüberfälle pro 100.000 Einwohner erfasst, in den drei deutschsprachigen Ländern waren es jedoch jeweils drei Mal so viele. 262 Diebstahlsdelikten pro 100.000 Einwohner in Georgien stehen fast 2300 Diebstähle pro 100.000 Einwohner in der Bundesrepublik Deutschland gegenüber.

Daher besteht die Frage, warum man seitens der diplomatischen Dienste so auf Allgemeinratschlägen herumreitet, die einem bereits der gesunde Menschenverstand nahelegt. Bergsteiger weist man auch nicht explizit auf die Gefahren des Hochgebirges hin, obwohl das Risiko durchaus erheblich sein kann. In Tirol alleine sterben beispielsweise jährlich über 100 Menschen in den Bergen, das sind doppelt so viele Verunglückte wie auf der Straße. Dennoch würde kein Auswärtiger Dienst der Welt deswegen eine Reisewarnung für Westösterreich aussprechen.

Eine weitere Kritik richtet sich besonders das Deutsche Auswärtige Amt: Die Reisehinweise zu Armenien und Aserbaidschan, die eine mit Georgien vergleichbare Sicherheitslage haben, sind hinsichtlich Kriminalität und Sicherheit unspektakulär gehalten. Warum gerade Georgien als so gefährlich dargestellt wird?

Das Deutsche Außenamt rät übrigens zu besonderer Vorsicht wegen „in der Vergangenheit vereinzelt erfolgten oder verhinderten Sprengstoffanschlägen in Vororten von Tiflis …“. Die Sprengsätze wurden vom Russischen Geheimdienst gelegt – sagt das Georgische Innenministerium – waren aber so unprofessionell zusammengebastelt, dass die meisten davon nicht einmal detonierten. Bisher gab es keine Verletzten zu beklagen. Über den vereitelten Anschlag auf ein Privatfahrzeug eines Mitarbeiters der Israelischen Botschaft wurde im Artikel „Die Bombe vor meinem Fenster“ in der März-Ausgabe berichtet. Der Hinweis auf Sprengstoffanschläge fehlt übrigens bei den Reisehinweisen der Schweizer und Österreicher komplett.

Zumindest die statistischen Zahlen zur Kleinkriminalität zeigen eines ganz deutlich: Der Südkaukasus ist außerhalb der Konfliktgebiete kein gefährliches Reiseziel, ganz im Gegenteil. Es kann natürlich immer etwas passieren, daher sollte man aufmerksam bleiben, um das geringe Restrisiko noch weiter zu minimieren. Aber die statistische Wahrscheinlichkeit, in Mitteleuropa Opfer eines Verbrechens zu werden, ist deutlich höher als in Georgien. Daher besteht kein Grund, sich die Reise durch unbegründete Ängste zu verleiden, denn zu Tode gefürchtet ist auch gestorben.