Im Gespräch mit dem deutschen Filmregisseur und Produzenten
Von Rainer Kaufmann
Er hat einen der schönsten Filme gedreht, die es über den Kaukasus gibt: Am Rande der Zeit – Männerwelten im Kaukasus. Die Rede ist von Stefan Tolz, dem deutschen Filmproduzenten und Regisseur, einem Urgestein der postsowjetischen deutsch-gorgischen Szene. Denn seit 1990, noch bevor die UdSSR aufhörte zu existieren, ist der heute 46-jährige in Georgien irgendwie zu Hause. Damals kam der Münchner Filmstudent, 24 Jahre jung war er, nach Tiflis, um an der Kino-Fakultät des Staatlichen Georgischen Theaterinstituts ein Gaststudium zu absolvieren. In den Hörsälen allerdings hielt er sich nur selten auf, seine Georgisch-Kenntnisse waren noch nicht ausreichend. Umso mehr hielt er sich in den Studios der großen georgischen Regisseure auf, bei Eldar Schengelaia etwa oder bei Tengis Abuladse. Von ihnen hat er viel gelernt. Und von den unzähligen georgischen Streifen in Schwarz und Weiß, die er sich in eiskalten Kinosälen angesehen hat.
Heute spricht er perfekt Georgisch und hat sich nach einigen Jahren in anderen Teilen der Welt seit 2007 wieder in Tiflis niedergelassen. Dazwischen war er Gaststudent am Film Department der New York University und an der Pekinger Filmakademie. Von 1993 bis 1999 arbeitete er als freier Autor, Regisseur und Produzent zunächst in Köln für verschiedene öffentlich-rechtliche Fernsehsender, danach in München. Seit 1998 erhielt Tolz auch verschiedene Lehraufträge für Dokumentarfilm in Deutschland und Österreich. 2002 gründete er gemeinsam mit Thomas Riedelsheimer und Thomas Wartmann eine Filmproduktion in München, seit 2004 auch mit einer Niederlassung in Köln, filmpunkt heißt die Firma heute.
Lange Zeit hatte er sich eher in Richtung Kalifornien orientiert, der Liebe wegen, und sich nicht vorstellen können, jemals wieder für eine längere Zeit seine Zelte in Georgien aufzuschlagen, obwohl er regelmäßig seine alten Freunde im Kaukasus besuchte. Als die Beziehung nach Kalifornien erkaltet war, machte sich Stefan Tolz auf die Suche nach einer neuen Zweit-Heimat. Für Südfrankreich hatte er sich schon fast entschieden, als er dann doch wieder zu einem Besuch nach Georgien kam. „Da habe ich ein Georgien vorgefunden, wie ich es noch nie erlebt habe.“ Waren es früher vor allem die Abgeschiedenheit der Bergdörfer, die ihn angezogen hatten, war er plötzlich überrascht, dass Tiflis nicht mehr so abgeschnitten war von der Welt wie früher. „Ich konnte in einem Cafe sitzen, einen Cappuccino trinken und hatte über den Laptop Kontakt zur Außenwelt.“ Für den Filmemacher, der in Georgien alle schweren Zeiten ohne Strom und ohne Kommunikation miterlebt hat, die Zeiten des Bürgerkriegs und der danach folgenden Herrschaft von Warlords, war dies ein Quantensprung in Lebensqualität. Alte Freunde, mit denen er zu Studienzeiten seinen ersten Film in Georgien, Das Kaukasische Gastmahl, produziert hatte, boten ihm eine Wohnung zum Kauf an. Südfrankreich war vergessen. Stefan Tolz war wieder bei denen angekommen, mit denen seine Karriere angefangen hat. Mittlerweile ist er mit einer Georgierin verheiratet, keltert, wie es sich hierzulande gehört, seinen eigenen Wein, fährt einen wunderschönen alten Wolga und betreibt ein kleines Gästehaus in Tiflis.
Diesen Film-Erstling, vorfinanziert durch journalistische TV-Beiträge über Georgien, hat er bewusst mit alter sowjetischer Ausrüstung produziert. Es ging ihm um Authentizität auch in der Technik. Ein Tamada stellt mit seinen Trinksprüchen die Gäste einer georgischen Tafel vor, die sich nicht kennen, und die dann in Kurzbeiträgen portraitiert werden. Eine erste Annäherung an die Innenwelt Georgiens. Den selbst produzierten Film zeigte der junge Regisseur dem SWF-Redakteur Ebbo Demant in Baden-Baden, der ihn sofort aufkaufte und in ARD und auf ARTE zeigte. Das war der Durchbruch für Stefan Tolz, mehrere Jahre produzierte er für deutsche TV-Anstalten vor allem Dokumentarfilme.
Der mehrfach preisgekrönte Film Am Rande der Zeit – Männerwelten im Kaukasus (u.a. Golden Gate Award beim San Francisco Filmfestival und eine Nominierung zum Grimme Preis) folgte einige Jahre später, nachdem er für den Fritz-Pleitgen-Dreiteiler Durch den wilden Kaukasus die Regie geführt hatte. Zu seinem eigenen Kaukasus-Film, der sich weniger den wilden Klischee-Facetten dieser Region widmete, führte ihn die einfache Frage, in welcher Region man denn anlässlich des Jahrtausendwechsels noch Menschen finden konnte, die in einer völlig anderen Zeit leben als wir, in einer zeitlosen Zeit. Er fand sie in Swanetien, in einem Altenheim in Adscharien, auf einer Bohrinsel in Baku und in einer Koranschule in Daghestan. Ein wirklich zeitloser Film über Menschen und ihre Wertvorstellungen. Ein zeitlos gültiger Film über den Kaukasus.
Derzeit bereitet Stefan Tolz ein neues Filmprojekt in Georgien vor, einen Spielfilm. Die Idee ist zehn Jahre alt, zusammen mit Lascha Bagradse, dem heutigen Leiter des Literaturmuseums, hat er schon im Jahr 2002 das Grundgerüst für Drehbuch und Handlung erarbeitet. Zwischenzeitlich lag das Projekt auf Eis. Es geht vordergründig wieder um eine typisch georgische Geschichte, die Geschichte von Mitrophane Lagidze und seinen Limonaden.
Georgien-Veteranen erinnern sich wehmütig an das mit Marmor verkleidete und herrlich dekorierte Saftgeschäft auf dem Rustaweli, in dem Soda-Wasser mit selbst erzeugten Saftkonzentraten, die auf einem Drehgestell in großen Glasamphoren bereit gehalten wurden, vermischt wurde. Ein Spritzer Essenz, das Wasser kam aus einem Hahn, verrührt wurde es von den Verkäuferinnen mit einem Kaffelöffel. Es gab Fruchtkonzentrate, Kräuteressenzen (himmlisch süss und herb zugleich: Darchuna), auch eine Schokoladen-Variante. Lagidze war Kult für Generationen von Tiflisern und ihren Gästen. Die marmorne Trinkhalle musste in den letzten Jahren einer 0/8-15-Boutique weichen. Leider.
1887 hatte der Apothekerlehrling Mitrophane Lagidze damit begonnen, Säfte aus Naturextrakten herzustellen, ohne künstliche Aromen und Zuckerzusätze, die in dem legendären Kultlokal am Rustaweli verkauft wurden. Eine Erfolgsgeschichte: Anfang des 20. Jahrhunderts musste bereits in einer Fabrik produziert und in Flaschen abgefüllt werden, in den 30-er Jahren wurden Trinkhallen an den Badeorten des Schwarzen Meers eröffnet und 1952 wurden 40 Prozent der in der UdSSR verkauften Limonaden nach den Rezepten Lagidzes hergestellt. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Einmarsch weltweit bekannter Softdrinkmarken auch in Georgien wurde es für die Erben des traditionellen Limonadeherstellers aus Tiflis immer schwerer, der globalen Konkurrenz zu trotzen. Die Globalisierung ging mitleidlos über Traditionen und Kulte hinweg und Lagidzes Enkel ist heute Vizedirektor in der georgischen Dependance einer weltweit operierenden, amerikanischen Softdrink-Marke….
Das Drehbuch, geschrieben vom Irakli Solomonaschwili und Ana Kordzaia, ist aber vielschichtiger angelegt. Es erzählt, ganz in der Tradition des georgischen Films, die Geschichte Georgiens während der Sowjetzeit. Der Makrokosmos einer ganzen Epoche im Mikrokosmos eines Tifliser Saftladens, in dessen Labor alle möglichen Essenzen hergestellt werden. Essenzen, die der Sowjetarmee den Sieg brachten; Essenzen, die einen Geheimdienstchef glücklich machten; Essenzen, die die Eroberung des Weltalls erst ermöglichten, den Wiederaufbau der UdSSR nach dem zweiten Weltkrieg und ihren Niedergang; Essenzen, die am Ende die ganze Menschheit hätte glücklich machen können, wenn, ja wenn nicht das System sich das Recht vorbehalten hätte, die Menschheit alleine beglücken zu dürfen. Der Tifliser Saftladen als Nabel der Weltgeschichte. Dabei geht es dem Saftmischer in Stefan Tolzens Filmprojekt von Anfang nur darum, eine verunglückte Liebe wieder zu beleben, was ihm im hohen Alter – die Sowjetunion ist längst zerfallen – dann doch noch gelingt.
Eine schrille Parabel soll es werden ganz im Stil der georgischen Tragik-Komödien über die niemals endende Suche der Menschheit nach Glück. Und dabei will Stefan Tolz mit seinen georgischen Partnern ganz nebenbei ein Bild von Georgien und seinen Menschen zeichnen, deren Charme und tiefgründiger Mutterwitz ihm dieses Land endgültig zur zweiten Heimat gemacht haben.