Buchbesprechung: Olga Grjasnowa „Der Russe ist einer, der Birken liebt“

Von Kathrin Schneider

 

Die Russen sehen aus wie Leute, die Birken lieben. Die Palästinenser wie Leute, die es gewohnt sind zu warten. Die Deutschen? Und die Aserbaidschaner? Und die Israelis? Olga Grjasnowa kennt keine Berührungsängste vor Allgemeinplätzen. Im Gegenteil: In ihrem Roman „Der Russe ist einer, der Birken liebt“ bedient sie sich ihrer, um sie gleichzeitig zu dekonstruieren. Ihre Protagonistin Mascha ist eine hochbegabte deutsche Aserbaidschanerin mit russisch-jüdischem Hintergrund, spricht außerdem hervorragend Französisch und Arabisch, aber entzieht sich dabei jedem Klischee.

Als Kind in Baku durch den aserbaidschanisch-armenischen Konflikt traumatisiert, flieht sie mit ihrer Familie nach Deutschland und lernt früh, dass sogenannte Kinder mit Migrationshintergrund in der deutschen Mehrheitsgesellschaft nur eine Chance haben wenn sie deren Sprache beherrschen. Als sie beginnt ihre Geschichte zu erzählen, ist sie Mitte 20 und wohnt mit Ihrem Freund Elias in Frankfurt. Dieser sucht vergebens hinter Maschas Seele zu blicken, ihr Trauma zu verstehen. Aber Mascha verweigert sich beharrlich, will sich nicht öffnen und scheint dennoch nur zu funktionieren, wenn sie um Elias‘ Zuneigung weiß. Auch als Studentin der Dolmetscherwissenschaften bewegt sie sich buchstäblich zwischen den Welten. Als Elias plötzlich an einer Lungenembolie stirbt, bricht Maschas Welt zusammen. Der Leser folgt Mascha in ihrer Verzweiflung, begleitet sie bei amourösen Abenteuern, bei der Auseinandersetzung mit Elias‘ Eltern und schließlich nach Israel, wo sie als Übersetzerin und Dolmetscherin arbeitet. Doch weder der räumliche Abstand noch das Nachtleben oder der Strand von Tel-Aviv können ihren Kummer mindern. Im Gegenteil, die allgegenwärtige Auseinandersetzung zwischen Palästinensern und Israelis, die Gewalt in den Straßen, aber auch in den Köpfen der Menschen lässt Erinnerungen an die als Kind erfahrene Gewalt in Baku lebendig werden.

Man fühlt beim Lesen förmlich wie Maschas Seele Stück für Stück auseinander bricht, wie sie sich der Trauer hingibt und wie sie dennoch gegen den eigenen Zusammenbruch kämpft. Und das ist es dann auch, was an Mascha so fasziniert: diese eigenartige Mischung aus Stärke und Schwäche, die präzise Beobachtungsgabe, ihr Witz und ihre Klugheit, aber auch ihre Rastlosigkeit und ihre Heimatlosigkeit. Olga Grjasnowa hat mit Mascha eine Figur geschaffen, die uns nicht nur ihre Geschichte erzählt, sondern auch die einer ganzen Generation von Migranten, deren komplexe Schicksale, Lebensläufe und unterschiedlichen Talente in der Mehrheitsgesellschaft oft unentdeckt bleiben oder aufgrund falsch verstandener Toleranz ignoriert werden.

Die Sprache des Romans ist wie seine Hauptfigur: schnell, präzise und klug. Sie zieht den Leser  rasch in den Bann. Auslassungen und Schilderungen in der Retrospektive verleihen dem Roman zusätzliche Dramatik. So ist z.B. lange nicht klar, woran Elias genau stirbt oder welche Ereignisse in Baku Mascha derart traumatisiert haben.

Ein selbstbewusstes Buch und ein beeindruckendes Erstlingswerk, dessen Glaubhaftigkeit nicht zuletzt mit der Biografie der Autorin zusammenhängt. Olga Grjasnowa wurde 1984 in Baku geboren. Ihr Vater ist Russe, ihre Mutter gehört zu der jüdischen- aserbaidschanischen Minderheit  des Landes. 1995 emigrierte die Familie nach Frankfurt. Längere Aufenthalte in Polen, Israel und Russland lassen durchblicken, dass auch Olga zu jener, von ihr beschriebenen, neuen weltgewandten Generation von Migranten und Migrantinnen gehört. Drängt sich die Frage auf, wie viel Mascha steckt wirklich in Olga.