Auf Fotoreportage im winterlichen Uschguli
Sie sind auf der Suche nach der Welt von gestern: Alex Heller, Fotograf, und Björn Reinhardt, Dokumentarfilmer. In allen Erdteilen waren sie, in vielen Ländern. Jetzt haben sie eine einwöchige Winter-Expedition nach Oberswanetien abgeschlossen. Obwohl Uschguli der erwartete Volltreffer war, erkannten sie aber sehr schnell, dass man auch dort, „am gefühlten Rande der Welt“ ganz tief eintauchen muss in die Szene, um die Welt von gestern noch unverfälscht zu entdecken. Denn auch in Swanetien ist immer mehr von einem neuen Lebensgefühl zu erkennen, das diese einst abgeschiedene Region verändern wird. „Die Menschen wollen raus aus dieser Zeit, ich will aber rein!“
Alex Heller ist selbst ein Mann von gestern. Er fotografiert schwarz/weiß und das noch analog, also auf Zelluloid. Das Ergebnis seiner Arbeit erkennt er erst zu Hause in der Dunkelkammer. Schnell draufhalten und dann auf dem Screen das Ergebnis überprüfen, ist seine Sache nicht. Gerade deshalb gehört er zu der Sorte Fotografen, die sich intensiv mit einer Landschaft und ihren Menschen beschäftigen, die ganz genau hinschauen, bevor sie auf den Auslöser drücken. Und er weiß auch zu genau, dass er sich gelegentlich seine Gestern-Welt optisch einrichten muss und damit verändern. „Die Lüge der Fotografie“ nennt er es, wenn er zum Beispiel den zentralen Telekommunikations-Funkturm von Uschguli immer wieder hinter einem Turm versteckt.
Was er in der für seine Fotografie wichtigen, grandiosen Landschaftskulisse gesehen und fotografiert hat, „Szenen zum Atem anhalten“, ist für Kenner Swanetiens nicht überraschend: Wilde, archaische Opferrituale mit inbrünstigen Gebeten und ausufernden Zechgelagen, die mit dem Ort, an denen sie stattfinden, einer Kirche, nur wenig zu tun haben. Die Dorfältesten ersetzen den Priester, der oben in der Lamaria-Kirche sein orthodoxes Ritual pflegt und die Jahrtausende alten Opferriten ablehnt. Uschguli hat seit zwei Wochen wieder einen Ortspfarrer, der in der kleinen Kirche zelebriert.
Romantisierung? Abbilden von Folklore? „Das hängt von der Würde der Menschen ab“, sagt Axel Heller. So wie er die Swanen kennen gelernt hat, ist das mit diesen Menschen nicht zu machen. Zumindest mit der älteren Generation. Ob die jungen Leute diese Traditionen unverfälscht weiterführen, will er nicht beantworten. Schon gar nicht, wenn, wie geplant, auch Uschguli einmal auf einer voll asphaltierten Straße erreichbar sein wird. Die Menschen, vor allem die jungen, warten darauf. „Wer will ihnen das verdenken?“ In der Woche, in der Heller und Reinhardt in ihrem „Uschguli von gestern“ waren, sind gerade einmal zwei oder drei Autos angekommen. Im Sommer sieht das heute schon ganz anders aus.
Es gibt aber auch Skeptiker im Dorf. Giorgi, der Wirt der beiden Bildjournalisten, erklärte unmissverständlich: „Wenn da junge Leute in unanständiger Kleidung herkommen und sich in aller Öffentlichkeit küssen, dann machen wir die Straße wieder dicht!“ Das Gestern, Heute und Morgen wird sich in Uschguli wohl noch lange über den richtigen Weg in die Zukunft streiten.
Björn Reinhardt, der Dokumentarfilmer, hat Axel Heller begleitet und über dessen Reise – Ausgangspunkt Bukarest, Ziel Uschguli – einen Dokumentarfilm produziert. Reinhardt lebt seit zehn Jahren in der rumänischen Maramuresch, einem der letzten noch zusammenhängenden Bauernregionen Europas. Nach der Aufnahme Rumäniens in die EU sind bereits 50 % der Bewohner ausgewandert. Wir werden den Film, der im Mai fertig gestellt sein wird, in der Kaukasischen Post vorstellen und besprechen.