Eine bittere Ohrfeige für die Regierenden

Nur ein Drittel der Stimmen für die Kandidatin von Bidsina Iwanischwili

Da haben sich einige Größen der Regierungspartei Georgischer Traum am Wahlabend, als die Auszählung der Stimmen gerade begonnen hatte, ganz schön mutig aus dem Fenster gelehnt. Allen voran Kacha Kaladse, der Tifliser Oberbürgermeister, der – den Partei-eigenen Prognosen blind vertrauend – seiner Kandidatin Salome Surabischwili voreilig zum „überzeugenden Wahlsieg“ gratulierte. Der Georgische Traum veröffentlichte nämlich kurz nach Schließen der Wahllokale das 19-Uhr-Zwischenergebnis einer Nach-Wahl-Befragung, die er selbst in Auftrag gegeben hatte. Demnach lag Salome Surabischwili mit 52,3 Prozent der abgegebenen Stimmen klar in Front, während ihr Gegenkandidat Grigol Waschadse von der UNM mit nur 28,1 Prozent geführt wurde. Dessen Partei hatte in einer eigenen Umfrage bereits ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit jeweils etwa 40 Prozent prognostiziert, veröffentlicht über den TV-Sender Rustavi2. Zur selben Zeit war die Partei Europäisches Georgien in ihrer Umfrage mit 37 Prozent für Waschadse und 34 Prozent für Surabischwili dem Endergebnis recht nahe gekommen. Schließlich durfte Parlamentspräsident Irakli Kobachidse, der zuvor einen zweiten Wahlgang nahezu kategorisch ausgeschlossen hatte, am späteren Abend dann kleinlaut eingestehen, dass es eben doch nicht gereicht hätte. Die eigenen Umfragen seinen „teilweise“ gescheitert.

Was von diesen „Umfragen“ zu halten ist, hatte Mamuka Mdinaradse, der Fraktionsvorsitzende des Georgischen Traums, bereits am Nachmittag verdeutlicht, als er rund vier Stunden vor Schließen der Wahllokale erklärte, dass die von seiner Partei unterstützte Kandidatin die Umfragen überzeugend anführe. Er erklärte dabei auch die – nach demokratischen Grundsätzen als höchst fragwürdig einzuschätzende – Methodik der Demoskopie a lá Georgischer Traum. Demnach haben Aktivisten und Parteimitglieder der Partei vor den Wahllokalen anhand von vorgefertigten Listen echter oder vermeintlicher Gefolgsleute abgefragt, wer denn zur Stimmabgabe erschienen ist. Nicht mehr, angeblich, obwohl gerade diese Wähler-Registrierung außerhalb der Wahllokale von der Opposition scharf kritisiert wurde. Anhand dieser Rückmeldungen bastelte man im Hauptquartier des Georgischen Traums dann an der Gewissheit, diese Wahlen mit deutlichem Vorsprung gewonnen zu haben. Und dies wurde dann Stunden vor Schließen der Wahllokale in alle Welt hinausposaunt. Allerdings mit der Einschränkung Mdinaradses, eine abschießende Bewertung könne erst nach der offiziellen Auszählung der Stimmen erfolgen. Dieser demokratische Prozess müsse natürlich zu Ende geführt werden. Ein vor allem für die Regierungspartei mehr als nur peinliches Schauspiel mit Zahlen, Wünschen und Prognosen wurde da aufgeführt, das internationale Wahlbeobachter einmal genauer zu bewerten hätten. Mit einer seriösen Information der Öffentlichkeit am Wahltag hat das alles nichts zu tun, mit ernsthaft betriebener Demoskopie schon gar nicht. Und vielleicht sollte sich der georgische Gesetzgeber überlegen, ob er solch fragwürdigen Methoden für künftige Wahlen nicht grundsätzlich verbieten sollte als ersten Schritt in der weiteren Euro-atlantischen Annäherung des Landes.

Auch Salome Surabischwili hat den Propaganda-Umfragen des Georgischen Traums wohl vertraut, als sie kurz nach 21:00 Uhr erklärte, sie sei sehr glücklich, da es keine Anzeichen für eine Stichwahl gäbe. Allerdings auch bei ihr die Einschränkung, sie akzeptiere jedes Votum der Wählerschaft und warte auf die vorläufigen Ergebnisse der Auszählung. Zu dieser Zeit waren in den Straßen von Tiflis noch hupende Autokolonnen mit Fahnen der Iwanischwili-Partei unterwegs.

Das vorläufige amtliche Endergebnis hat die Oberen des Georgischen Traums anscheinend erst einmal in eine Art Schockstarre versetzt. Vor allem von Parteichef Bidsina Iwanischwili, der Surabischwili als Kandidatin auch gegen parteiinterne Kritik durchgesetzt hatte, gab es am Tag nach den Wahlen keinen Kommentar. Am Wahlabend selbst hatte er, wohl auch auf die zweifelhafte Partei-interne Umfrage vertrauend, noch eine Stichwahl ausgeschlossen, als er um 21:30 von einer Presse-Agentur zitiert wurde: „Wir haben immer 53 bis 54 Prozent erwartet und sind dieser Prognose sehr nahe.“ Allerdings ging er da schon zu einer Art vorsorglichem Gegenangriff über, als er erklärte, die UNM plane Ausschreitungen, aber Polizei und Sicherheitsorgane seien mobilisiert.

Dass es jetzt doch zu einem zweiten Wahlgang kommt, ist vor allem eine herbe Niederlage für Iwanischwili und seine Art, hinter den Kulissen das Land zu führen, ohne sich der Verantwortung eines öffentlichen Amtes zu stellen. Das zeigt sich in der  schwachen Wahlbeteiligung von unter 50 Prozent. Realistisch betrachtet hat die Regierung damit nicht einmal 20 Prozent der georgischen Wählerinnen und Wähler für sich mobilisieren können. Eine deutliche Aussage über die wirkliche politische Stimmung im Lande.

Was kommt mit der Stichwahl jetzt auf Georgien zu? Es gibt erste Anzeichen, dass sich die bis zum Wahltag heillos zerstrittene Opposition im zweiten Wahlgang hin ter Grigol Waschadse vereinen wird. Jedenfalls hat Davit Bakradse von der Partei Europäisches Georgien, einer Saakaschwili kritisch gegenüber stehenden UNM-Abspaltung, dies am Wahlabend bereits erklärt. Damit sehen sich Surabischwili und Iwanischwili bereits einer Mehrheit von fast 50 Prozent der im ersten Wahlgang abgegebenen Stimmen gegenüber. Und die sind komplett aus dem Lager der früheren Regierungspartei Saakaschwilis. Sollten sich auch andere Kandidaten dieser neuen-alten Formation anschließen, muss die Regierung eventuell ihren Plan begraben, nach dem unabhängigen und teilweise aufmüpfigen Präsidenten Margwelaschwili wieder eine Präsidentschaft zu etablieren, die eng mit der Regierung kooperiert und ihr keine Probleme bereitet.

Mehr noch: Sollte Grigol Waschadse tatsächlich ins Präsidenten-Palais einziehen und das mit Unterstützung aller Kräfte der früheren UNM, dann dürfte sich vor allem einer freuen: Michail Saakaschwili, der auf diesem Wege vielleicht sogar träumen kann, wieder zu einer politischen Größe im Lande zu werden. Sein „Wahlkampf-Auftritt“ in der Universität Jena (siehe Artikel: Mischas Feldgottesdienst in Jena) lässt einen Vorgeschmack erahnen, auch seine Stellungnahme zum Ergebnis des ersten Wahlgangs,“das die Opposition in Georgien wieder vereinige wie zu Zeiten der Rosenrevolution, um dieses dieses Monster, dieses fiese Phänomen, Iwanischwili mit dieser falschen Dame zu besiegen.“

Wenn nicht alles täuscht, kann es in den nächsten Jahren sogar zu einem politischen Deja-vu in Georgien kommen, zum erneuten Machtkampf der zwei Alphatiere, die sich in den letzten Jahren fast nur im Hintergrund des politischen Geschehens betätigten. Der eine, Saakaschwili, war dazu gezwungen; der andere, Iwanischwili,hat es freiwillig getan. Ob diese Konstellation dem Land, das seit Jahren wirtschaftlich und auch politisch-strategisch stagniert, wirklich weiter helfen kann, ist mehr als fraglich. Noch gibt es zu dem Szenario eines erneuten Machtkampfes der Giganten der Vergangenheit keine sichtbare Alternative. Die politische Elite des Landes ist anscheinend noch nicht reif für andere Konstellationen, ist weit von einem pluralistischen System politischer Parteien entfernt. Parteien, die sich inhaltlich und programmatisch definieren und nicht ausschließlich in machtpolitischen Netzwerken. Dies ist das eigentliche Ergebnis dieser ansonsten gar nicht so bedeutenden Wahl eines Staatsoberhauptes, dessen Kompetenzen nur auf eine protokollarische Bedeutung reduziert wurden. Und ein weiteres Fazit muss jetzt schon gezogen werden: Der Georgische Traum, der noch vor zwei Jahren einen überwältigenden Sieg bei den Parlamentswahlen eingefahren hat, hat bei weiten Teilen der Bevölkerung nichts anderes hinterlassen als Ernüchterung und Frustration. Einer wenigstens scheint die erkannt zu haben, Kacha Kaladse, der am Tag nach den Wahlen erklärte, man habe sich selbstzufrieden viel zu sehr auf die eigenen Wahrnehmungen verlassen und die Einstellungen der Menschen vernachlässigt. Im Lande seien rasche und effektive Veränderungen angesagt.