Viel mehr als nur eine normale Regierungskrise

Kommentar zum Rücktritt von Premierminister Kwirikaschwili

Der georgische Regierungschef Giorgi Kwirikaschwili ist vor etwa einer Stunde zurück getreten. Ganz überraschend ist dieser Schritt nicht. Vor einiger Zeit schon hatte er Bidsina Iwanischwili wieder ins – vermeintliche – Zentrum der Politik zurück geholt, in dem er den Vorsitz der Regierungspartei Georgischer Traum an ihn, den Gründer und Mentor im Hintergrund, abgetreten hat. Und seither, das war allenthalben zu spüren, ist die georgische Regierungspolitik in Schieflage geraten. Der Höhepunkt war dann anscheinend die gestrige Sitzung der Partei- und Regierungsspitzen des Georgischen Traums, bei der der Konflikt zwischen Iwanischwili und Kwirikaschwili offen ausgebrochen sein muss. Hinter verschlossenen Türen zwar, aber niemand hat den Parteisprechern die am Abend eifrig verbreitete Information abgenommen, man habe gestern mitnichten über eine Regierungsumbildung gesprochen, sondern nur über wirtschaftlich relevante Themen.

Kwirikaschwili hat jetzt von sich aus die Reißleine gezogen und nicht abgewartet, bis ihn der „Mann vom Berge“, wie Iwanischwili in Tiflis wegen seines Glaspalastes über der Altstadt gerne bezeichnet wird, schassen konnte. Dabei ist die Bilanz des gescheiterten Regierungschefs alles andere als glänzend. Denn außer großen Zukunftsvisionen von Winter-Olympiaden und Skiweltmeisterschaften, von zumindest als gewagt zu bezeichnenden Straßenbauprojekten oder unsinnigen Regionalflughäfen und ähnlichem hat die Regierung Kwirikaschwili kaum nennenswerte wirtschaftliche Erfolge zu verzeichnen. Die Situation ist für den überwiegenden Teil der Bevölkerung eher schlechter als besser geworden. Von den versprochenen neuen Arbeitsplätzen ist wenig zu sehen. Nahezu alle statistischen Erfolgsmeldungen halten keinem einzigen Stresstest stand. Diese Kritik an der Regierungsbilanz Kwirikaschwilis ist mehr als nur berechtigt. Und die aktuellen Meinungsumfragen stellen der Regierung ein verheerendes Urteil aus. Es kann daher kaum überraschen, dass es bei der gestrigen Bestandsaufnahme in den internen Zirkeln der Regierungspartei zu einem Zerwürfnis zwischen dem heimlichen Regenten im Hintergrund, Iwanischwili, und seinem obersten Gehilfen an der Regierungsfront, Kwirikaschwili, kam.

Wie geht es jetzt weiter? Seit seinem Wahlsieg über Saakaschwili und seinem eigenen Rücktritt als Premier ein Jahr danach hat der Milliardär, der im Hintergrund trotzdem alle Fäden gezogen hat, immer wieder Personen aus seinem Firmen-Imperium an die Front geschickt, zuletzt Kwirikaschwili. Es ist mehr als fraglich, ob er in seiner Personal-Reserve noch jemanden hat wie ihn, der immerhin die Rolle als Regierungschef mehr als nur passabel und glaubwürdig dargestellt hat. Wen auch immer er jetzt aus dem Hut zaubert, in der öffentlichen Wahrnehmung wird er nicht mehr als nur eine Marionette des „Mannes vom Berg“ abgeben können. Eigentlich wäre es jetzt wirklich an der Zeit, dass Iwanischwili selbst die politische Verantwortung übernimmt und damit ein öffentliches Amt. Aber dann müsste er zeigen, dass er das Land, und damit die Mehrheit der Menschen, wirklich aus der wirtschaftlichen Stagnation führen kann. Ob das bei den offensichtlichen dominierenden privat-wirtschaftlichen Interessen des Oligarchen allerdings überhaupt möglich ist, steht auf einem anderen Blatt. Diese Regierungskrise ist daher viel mehr als eine normale Regierungskrise. Und alle in Europa und der Welt müssen sich fragen, ob das derzeitige georgische Politik-System noch irgendetwas mit den Werte-Vorstellungen zu tun hat, die im Zusammenhang mit der Euro-atlantischen Integration immer wieder gepriesen werden. In Moskau könnte es jemanden geben, der das alles mit großer Genugtuung und Gelassenheit beobachtet.

Rainer Kaufmann