Landschaftswandel und nachhal­tige Nutzung

Volkswagenstiftung fördert deutsch-georgische Umweltfor­schung im Kaukasus

Georgien hat seit 1991 tief­greifende sozi­ale, ökonomi­sche und ökologische Ver­ände­rungen erfahren. Der grund­legende po­litische Wandel und der wirt­schaftliche Niedergang führten besonders in ländli­chen Regio­nen zu einer Verschlechte­rung der Lebensbe­dingungen, die sich in einer massiven Abwande­rung auswirkte. Damit einherge­hend, und durch häufig unge­klärte Eigentumsverhältnisse ver­stärkt, ist der Rückgang der landwirtschaftlichen Produk­tion. In vielen Regionen Geor­giens werden früher in­tensiv bewirtschaftete Land­schaften heute weniger stark land­wirt­schaftlich genutzt oder sind sogar großflächig brach gefal­len. Dies hat nicht nur offen­sicht­liche und schwerwiegende ökonomische und soziale Folgen, die sich u. a. in den dramatisch gestie­genen Nah­rungsmittelim­porten des Landes zeigen, son­dern wirkt sich auch besonders auf das Er­schei­nungsbild und die ökologi­schen Funktionen der Kulturland­schaf­ten aus:

Ein Rückgang der landwirt­schaftlichen Aktivitäten führt in der Regel zu einer stärkeren Bedeutung von natürlichen Pro­zessen in der Landschaftsent­wicklung. So folgt z. B. einer ausbleibenden Beweidung oder Mahd in der Re­gel die Ansied­lung von Gehöl­zen. Eine Verbu­schung und langfristig eine Wiederbewaldung von vorher waldfreien Regionen kann ein­set­zen. Dieser an sich posi­tive Effekt kann mit­telfristig aller­dings auch große Nach­teile mit sich bringen. Denn eine zu ge­ringe Be­weidung der Grasnarbe führt gleichzeitig zu einer ge­ringe­ren Durch­wurzelung der oberen Bo­denschichten. Hier­durch kann sich – besonders an Steil­hängen in Bergregionen – eine erhöhte Erosionsgefahr entwickeln. Ge­fährliche und großflächige Hang­rutschungen sind die Folge, die möglicher­weise noch durch den besonders im Kaukasus schon sehr deutlich nachweisbaren Klimawandel ver­stärkt werden.

Entwicklungen dieser Art können nicht nur die weitere gesell­schaftliche Nutzung von Ge­birgslandschaften, z. B. für Landwirt­schaft und Tourismus, beeinträchtigen, sondern wirken sich auch ganz direkt auf die Stabilität des Naturhaushalts und die Artenvielfalt aus. Nut­zungs- und Land­schaftswandel haben durch die Verände­rung der Lebensräume immer auch Kon­se­quenzen für die Flora und Fauna. Ge­orgien und der Kauka­sus gelten dabei aufgrund der hohen Zahl an nur hier vor­kom­menden Pflanzenarten als „glo­baler Hotspot“ der Biodiversi­tät und Artenviel­falt. Auch um diese beachtliche Vielfalt an Landschaften mit hohem Arten­reichtum von globaler Bedeutung zu erhalten, muss zukünftig eine nachhaltige Nutzung der georgischen Landschaften si­cherge­stellt werden.

Nachhal­tigkeit bezeichnet dabei den Ausgleich von ökonomischen, so­zialen und ökologischen Anfor­derungen. Das obige Bei­spiel hat aber be­reits gezeigt, wie komplex die Wechselwirkun­gen zwi­schen den drei genannten „Säulen der Nachhaltigkeit“ sein können. Lösungs­möglichkei­ten für die Vielfalt der Prob­leme können deshalb auch schwerlich nur von einzelnen Fachdisziplinen auf­gezeigt wer­den, sondern müssen gemeinsam, interdisziplinär, erarbeitet werden. Auch können weder Wis­senschaft noch Po­litik und Ver­waltung allein die An­forderun­gen der Zukunft umsetzen, son­dern dies sollte im Austausch mit Nichtregierungsorgani­sa­tio­nen und der beteiligten Bevöl­kerung erfolgen. Hier gibt es allerdings, nicht nur in Geor­gien, noch große Defizite.

Um neue Impulse für eine solche integrierte Herangehensweise zu geben, fördert die in Hannover ansäs­sige Volkswagen­Stiftung im Rah­men ihrer Initiative „Zwi­schen Europa und Orient – Mittela­sien/Kaukasus im Fokus der Wis­sen­schaft“ das interdiszipli­näre Forschungs­projekt AMIES. Das Projekt entwickelte sich aus einer gemeinsamen Initia­tive der Landschaftsökologie-Professoren Annette Otteund Rainer Waldhardt von der Justus-Liebig Universität (JLU) Gie­ßen und dem bedeutenden ge­orgi­schen Botanik-Professor George Nakhutsrishvili vom Bo­tanischen Institut und Botani­schen Garten in Tiflis.

Am Beispiel zweier Bergregionen im Gro­ßen und Kleinen Kaukasus (Kazbegi und Bakuriani, siehe Kasten) soll in einem dreijäh­rigen Projekt begonnen werden, die Wechselbe­ziehungen zwischen öko­logi­schen und gesellschaft­lichen Prozes­sen genauer und inter­diszipli­när zu erforschen. Aus den Er­gebnissen werden an­schließend Empfehlungen für eine künftig nachhaltigere Landnutzung und Landentwicklung in diesen Regi­onen gegeben. Innerhalb der vier Projektbe­reiche (siehe Kasten) ar­beiten WissenschaftlerInnen aus verschiedenen Fachdisziplinen und beiden Ländern zusammen. So sind aus Tiflis Bodenkundler, Klimafor­scher, Öko­logen, Bota­niker, sowie Politik- und Sozi­alwissen­schaftler von beiden Uni­versitä­ten (ISU und TSU) in das Projekt einge­bunden. Die JLU Gießen koordi­niert das Pro­jekt über ihr „Zentrum für in­ternatio­nale Entwicklungs- und Umweltfor­schung“ (ZEU). Die Gießener Land­schaftsökolo­gen, Geographen und Ernährungswis­senschaftler kooperieren dabei eng mit ihren georgi­schen KollegInnen und beide Seiten profitieren gegen­seitig vom Aus­tausch wissen­schaftlicher Methoden und Da­ten. Dies kommt insbesondere den georgischen und deutschen Nachwuchs­wissenschaftlerInnen zugute, die über das Projekt finanziert an ihrer Promotion ar­beiten und jeweils von Pro­fessoren aus beiden Ländern be­treut wer­den. Durch regelmäßige For­schungsaufenthalte im jewei­li­gen Partnerland erfahren sie nicht nur eine Stärkung der wissenschaftlichen Kompetenzen, sondern sammeln wichtige Erfah­rungen in der internationalen Zu­sammenarbeit verschiedener Disziplinen.

Verdeutlicht werden kann die gute Zu­sammenarbeit in AMIES am Beispiel der Botaniker und Landschaftsökologen. Beide Un­tersuchungsregionen werden seit vielen Jahrzehnten von georgi­schen Wissenschaftlern unter­sucht. Besonders aus der Umge­bung des Städtchens Ste­pants­minda – das Botanische Institut betrieb dort lange eine For­schungsstation, die nun als Ho­tel im Besitz der ISU ist – liegen eine Vielzahl von bota­nischen Bestandsaufnahmen der Wiesen- und Weideflächen liegen vor. Diese umfang­reichen Da­tensätze können nun in AMIES genutzt werden, um die Wechsel­wirkun­gen zwischen Landnutzung, standörtli­chen Gegebenheiten und der Vegetation und Arten­vielfalt eingehender und land­schaftsbezogen zu untersuchen. Hierbei stehen den Wissen­schaftlern moderne Geographi­sche Informationssysteme (GIS) und statistische Modellverfah­ren zur Verfügung. Die daraus gewonnenen For­schungsergebnisse tragen zum einen zum Verständ­nis des gesamten Ökosys­tems bei, dienen aber auch anderen Dis­ziplinen zur Bewertung künf­tiger Landnut­zungsoptionen. Denn schließlich ist die Vege­tation der Bergwiesen nicht nur Lebensraum für zahlreiche Pflanzenarten sondern gleich­zeitig auch Grundlage für die zukünftige landwirtschaftliche Nut­zung.

In ähnlicher Weise kooperieren auch die übrigen Teilprojekte miteinander. Die Inte­ressen und Lebensumstände der Bevöl­kerung werden durch umfangreiche Haus­haltsbefragungen ermittelt und in die Empfehlungen zur nach­haltigen Entwick­lung der beiden Bergregionen einbezo­gen. Die „Kaukasi­schen Post“ wird kontinuierlich über die AMIES-Projekte berichten.