Nur ein Scheinparlament?

 Analyse zum vorläufigen Ergebnis der Parlamentswahlen

Jetzt ist es wohl so gekommen, wie Bidzina Iwanischwili vor drei Wochen prognostiziert hat. Seine Partei, der Georgische Traum, hat eine absolute Mehrheit sicher, sie steht sogar kurz davor, eine verfassungsändernde Mehrheit von 113 der 150 Sitze im Parlament zu bekommen. Und das, obwohl ihr – nach absoluten Stimmen berechnet – sicher etwa 15 Prozent der Wählerinnen und Wähler davongelaufen sind. Vor vier Jahren erhielt die Koalition 1.179.930 Stimmen, in diesem Jahr erhielt die Partei nur noch 867.102 Stimmen. Zählt man die rund 100.000 Stimmen dazu, die die Parteien der damaligen Koalition – vor allem Freie Demokraten und Republikaner – bekommen haben, dann kann man den Verlust für die Regierungspartei mit rund 200.000 Stimmen veranschlagen. Eigentlich ein herbes Ergebnis. Dass der Traum trotzdem das neue Parlament dominieren wird, liegt am Wahlsystem. Etwa die Hälfte der Mandate wird direkt in 73 Wahlkreisen vergeben. 22 davon hat die Regierung bereits im ersten Wahlgang errungen. Es ist ganz sicher damit zu rechnen, dass sie von den 51 Mandaten, die in einer Stichwahl ermittelt werden, den überwiegenden Anteil erhalten wird. Etwa 40 reichen dann schon zu einer verfassungsändernden Mehrheit. Und das, obwohl die Regierungspartei gerade einmal 25 Prozent der Wählerschaft hat für sich mobilisieren können.

Wenn man die absoluten Wählerstimmen heranzieht, dann ist auch der Traum der oppositionellen UNM, der Partei Saakaschwilis, diese Wahlen haushoch zu gewinnen zerplatzt. Die UNM fiel von 867.102 Stimmen auf 473.896, also fast auf die Hälfte ihrer damaligen Wählerschaft. Keine Überraschung, dass man von der Partei, die noch in der letzten Woche eine veritable Demonstration in Tiflis veranstaltet hat, seit Sonntag Abend nichts mehr hört. Die Wahlen seien natürlich gefälscht worden, waren die ersten Kommentare. Aber wie man darauf reagiere, werde man erst in einer Partei-internen Klausur beraten. Ob die UNM jetzt in der Lage ist, die Frage zu klären, die sie eigentlich vor vier Jahren hätte klären sollen, nämlich die, wie sie mit ihrem Übervater im Exil, Mischa, umgeht, wird sich in den nächsten Tagen zeigen. Auch aus Odessa, wo Saakaschwili als Gouverneur ein hohes Regierungsamt ausübt, war bis zum jetzigen Zeitpunkt nichts zu hören. Dabei hatte er ja gestern schon übers Schwarze Meer kommen wollen, um mit der Partei „seinen“ Sieg über Iwanischwili zu feiern. Nicht auszuschließen, dass die UNM sich jetzt auch organisatorisch in die zwei Lager aufspaltet, die sich seit vier Jahren hinter den Kulissen quer liegen. Dann hätte Georgien vielleicht doch noch ein Mehrparteien-Parlament….

Der Übervater des Georgischen Traums immerhin zeigte sich am Sonntag Abend auf der Siegesfeier seiner Partei und machte damit wohl deutlich, das er von seiner Rolle als heimlicher Parteichef nicht ablassen wird. Wie ernst das gemeint sein kann, wurde in einer Meldung von heute klar: Innerhalb des Regierungsteams macht man sich jetzt schon Gedanken über eine Verfassungsänderung, nach der der Präsident nicht mehr vom Volk, sondern vom Parlament gewählt werden soll. Hat man heute schon Angst vor der Präsidialwahl in zwei Jahren, für die Iwanischwili offensichtlich seinen farblosen Amtsnachfolger als Regierungschef, Irakli Gharibaschwili, bereits jetzt proklamiert hat?

Georgien hat die Chance, ein Mehrparteiensystem zu etablieren, nicht genutzt. Das neue Parlament, in einer alles in allem sauberen Wahl ermittelt, wenn man die Aufgeregtheiten früherer Wahlgänge vor Augen hat, wird nicht viel mehr als ein Scheinparlament mit der Gefahr, dass Gesetze nicht ausdiskutiert, sondern einfach nur noch durch gewunken werden. Dass es so gekommen ist, liegt auch an den anderen politischen Kräften, die es versäumt haben, schlagkräftige und attraktive Parteien zu formieren. Außer den beiden großen Parteien erinnern alle anderen Bewerber dieser Wahl eher an Familien- oder Interessensnetzwerke. Dass es zum Beispiel zwei liberale Parteien, in einem Gedankengut verwurzelt, nicht geschafft haben, inhaltliche wie persönliche Gegensätze in einer gemeinsamen Plattform zu überwinden, ist der eigentliche Grund dafür, dass sie das politische Geschehen jetzt aus der Ferne beobachten dürfen, statt es mitzugestalten.

                                                                                                  Rainer Kaufmann