Parteienchaos oder demokratischer Alltag?

Georgien wählt am 8. Oktober ein neues Parlament

In einem halben Jahr ist die Amtszeit der Koalitionsregierung des Georgischen Traums zu Ende. Und heute schon ist klar, dass es diese Koalition nicht mehr geben wird, denn der größte Teil ihrer Parteien hat jetzt gerade entschieden, mit einer eigenen Liste anzutreten und nicht mehr in einer Koalition. Damit steht der georgischen Wählerschaft und der politischen Elite des Landes eine neue demokratische Bewährungsprobe bevor, von der noch niemand sagen kann, ob und wie sie bestanden wird. Denn standen sich in den bisherigen Parlamentswahlen eigentlich immer zwei starke Blöcke mit charismatischen politischen Führern gegenüber, werden sich die Wählerinnen und Wähler im Herbst zwischen einer kaum gekannten Parteienvielfalt entscheiden müssen, zumindest was ernst zu nehmende Parteien angeht. Und: Sollte es keine Überraschungen in der Parteienlandschaft mehr geben, wird nach den Wahlen wohl keine Formation über eine eigene Mehrheit im Parlament verfügen. Erst dann, bei den anschließenden Koalitionsverhandlungen wird sich zeigen, ob das demokratische System des Landes stabil genug ist, diese Herausforderung zu bestehen. In gewachsenen Demokratien, siehe die jüngsten Landtagswahlen in Deutschland und ihre Folgen, gibt es genügend Erfahrung, mit solchen Situationen umzugehen. Das wird sich in Georgien erst noch beweisen müssen.

Zunächst haben sich die beiden wichtigsten Parteien der Koalition – die Partei Georgischer Traum/Demokratisches Georgien und die Republikaner intern anscheinend so sehr ineinander verkeilt, dass sie nahezu gleichzeitig erklärten, bei den Wahlen unabhängig voneinander anzutreten. Nach außen allerdings haben sie das mit demonstrativer Einigkeit verkündet, die Regierungskoalition soll bis zu den Wahlen nicht auseinanderbrechen, haben sie versprochen. Das allerdings ist nur schwer möglich, denn Minister, die sich auf einer Parteienliste als Parlamentskandidaten aufstellen lassen, müssen mit diesem Datum ihr Regierungsamt aufgeben. Das gilt eigentlich auch für den Premier Giorgi Kwirikaschwili, der als Spitzenkandidat des Georgischen Traums vorgesehen ist. Für ihn soll allerdings noch rechtzeitig die Verfassung geändert werden. Warum dies nicht für das ganze Kabinett gelten soll, ist allerdings mehr als fragwürdig. Die Republikaner jedenfalls haben bereits angekündigt, ihre Ministerämter rechtzeitig aufzugeben. Damit steht dem Land erneut eine umfangreiche Kabinettsumbildung bevor. Die wievielte in vier Jahren, will man gar nicht zählen.

Viel einschneidender allerdings wird sein, dass mit dieser Entwicklung der seitherige Parlamentspräsident Davit Usupaschwili (Republikaner) wohl sein Amt aufgeben muss, denn kaum jemand rechnet heute damit, dass diese Partei bei den Wahlen aus eigener Kraft die 5-Prozent-Hürde überspringen kann. Usupaschwili, als ausgleichende Integrationsfigur an der Spitze des Parlaments eigentlich unersetzlich und vor allem im Ausland als dessen Repräsentant mehr als nur geschätzt, kann wohl nur darauf spekulieren, über ein Direktmandat wieder ins Parlament einzuziehen. Dabei bräuchte er in seinem Wahlkreis allerdings die offene Unterstützung anderer Parteien, unter anderem der des Georgischen Traums.

Schwer abzuschätzen sind auch die Wahlchancen der beiden anderen, im Parlament vertretenen Parteien. Die UNM (Vereinigte Nationale Bewegung), die Partei des vorherigen Präsidenten Mikhail Saakaschwili erklärt zwar vollmundig, sie werde diese Wahlen gewinnen. Bei der Parteienvielfalt, die zu erwarten ist, dürfte das aber eher Wunschdenken sein statt Einsicht in die Realität. Außerdem wird sie bis zu den Wahlen noch klären müssen, wie sie es mit ihrem Vorsitzenden, noch immer Saakaschwili, hält. Dieser dürfte eigentlich kein Partei-Amt mehr bekleiden, da er im letzten Jahr die georgische Staatsbürgerschaft aufgegen musste. Er ist jetzt ukrainischer Staatsbürger und Gouverneur von Odessa. Von dort hat er seiner Partei kürzlich ein ganz besonders originelles Erfolgsrezept verschrieben: Sie solle ihre Liste mit 50 Prozent Frauen besetzen. Ob das reicht, eine Mehrheit im Parlament zu erringen? Außerdem hat sich kürzlich ein selbst ernannter liberaler Flügel der UNM abgespaltet und unter Beisein aller EU-Botschafter eine neue Partei gegründet.

Längst im Streit aus der ursprünglichen Koalition ausgeschieden sind die Freien Demokraten mit ihrem Frontmann Irakli Alasania, dem früheren Verteidigungsminister. Sie rechnen sich gute Chancen aus, wieder ins Parlament einzuziehen, womöglich mit einer stärkeren Fraktion als bisher. Die Freien Demokraten stehen – wie auch die UNM und die Republikaner – für einen kompromisslosen Euro-Atlantischen Kurs des Landes.

Von der außerparlamentarischen Opposition sind sicher zu beachten die       der ehemaligen Parlamentspräsidentin Nino Burdschanadse und die Patrioten mit ihrer Chefin…. Letztere haben bei einer Wahlkreisnachwahl mit einem achtbaren Ergebnis abgeschnitten. Beide Parteien stehen für einen pro-russischen Kurs, das heißt, sie stehen der Integration Georgiens in NATO und EU kritisch gegenüber. Zu beachten ist sicher auch die Parteien-Neugründung des populären Opernsängers Paata Burdschuladse, die nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand. Auch ihr wird eher eine Russland-freundliche Haltung nachgesagt. Nicht auszuschließen ist allerdings, so erklären Insider der georgischen Gesellschaft, dass es noch im Frühjahr zu weiteren Parteigründungen kommen kann. Vor allem eine Partei, die sich mehr den traditionellen und religiösen Werten der georgischen Nation verpflichtet fühlt, dürfte, so sie antritt, durchaus mit einer beachtenswerten Wählerschaft rechnen. Dann würden die politischen Karten vor der Wahl völlig neu gemischt werden.

Bei dieser Ausgangslage ist eines sicher: Die politische Landschaft Georgiens wird sich vor und vor allem nach den Wahlen deutlich verändern. Der Wahlkampf droht angesichts oftmals fehlenden inhaltlichen Parteienprofils wegen auszuarten. Da darf man heute kaum eine Überraschung ausschließen. Nach der Wahl wird dann die Kompromissfähigkeit der Parteien gefragt sein, um eine handlungsfähige Regierung zu bilden. Denn die Zeit der großen Lichtgestalten, die wie vor vier Jahren Wahlen und Regierungsbildung mit ihrer Persönlichkeit dominierten, ist vorbei. Der eine ist Gouverneur in der Ukraine, der andere ist derzeit mehr damit beschäftigt, Großbäume zu verpflanzen oder seine Briefkasten-Firmen in der Karibik zu sortieren. Jetzt sind inhaltliche Positionen der Parteien gefragt und Programme, die der Wählerschaft vermittelbar sind. Ob da alle Lager schon hinreichend vorgearbeitet haben, darf bezweifelt werden. Ebenso, ob die georgische Bevölkerung bereit ist, sich ernsthaft mit inhaltlichen Positionen von Parteien zu beschäftigen.

                                                                                                                   Rainer Kaufmann