Hysterie um Währungsverfall

Georgien denkt zu sehr im amerikanischen Dollar

Die aktuellen Wechelkurse finden Sie auf: nbg.gov.ge

Die Anekdote ist zwar schon ein paar Jahre alt, sie trifft aber die augenblickliche Hysterie um den Währungsverfall des Lari ziemlich genau: Ein Banker fährt mit dem Taxi durch die Stadt. Der Taxifahrer erregt sich über die Wechselkurse an den Wechselstuben, bei denen der Lari zum Dollar mal wieder schwächelte. „Schauen Sie mal, was diese Regierung mit uns macht.“ Frage des Bankers: „Haben Sie eigentlich Dollar-Guthaben?“ „Nein“. „Wann haben Sie das letzte Mal Lari gegen Dollar getauscht? Und wie viel?“ „Vor ein paar Jahren, vielleicht 100 Dollar.“ Antwort des Bankers: „Also, was geht Sie das eigentlich an? Betrifft Sie der tägliche Wechselkurs wirklich?“

Es ist wieder einmal so weit, die georgische Währung hat Ende Januar wie schon öfter in den letzten 15 Jahren die Zwei-Lari-Marke zum Dollar überschritten. Und nichts deutet darauf hin, dass sich daran kurzfristig etwas ändern könnte. Mittlerweile wird der Dollar bereits zu 2,20 Lari gehandelt. Dabei hat die Regierung immer wieder versucht, den Lari unter diese magische Grenze gesund zu beten. Vergeblich. Und alle reden von Preiserhöhungen, die jetzt unweigerlich zu folgen hätten; Vermieter fordern sofort höhere Lari-Überweisungen; in den Medien haben politische Experten Hochkonjunktur; private Gespräche drehen sich allenthalben nur noch um den Dollarkurs. Die Regierung fordert die Nationalbank auf, zu intervenieren. Die Nationalbank verweist auf ihre Unabhängigkeit von der Politik und darauf, dass sich der Wechselkurs des Lari aus der Entwicklung auf einem freien Markt ergibt. Jetzt zu intervenieren, sei ein währungspolitischer Fehler. Natürlich sind auch in viele Wortmeldungen von parteipolitischen Interessen geprägt. Der Vorwahlkampf hat längst begonnen.

Die Hintergründe des derzeitigen Lari-Verfalls zum Dollar sind schnell erkannt. Zum einen erlebt der Dollar gerade einen Höhenflug etwa auch zum Euro, zum anderen sind es aber auch hausgemachte Gründe, die den Lari schwächeln lassen. Gründe, die dann verständlich werden, wenn man sich das System der Wechselkursfindung erst einmal vor Augen führt.

Der Lari wird zwar nicht auf dem internationalen Devisenparkett gehandelt, seine Kursentwicklung hängt aber trotzdem von Marktgesetzen, von der täglichen Entwicklung von Angebot und Nachfrage in Georgien nach Devisen ab. Das geschieht auf einer Art fiktiver Geldbörse, auf der alle bei der Nationalbank akkreditierten Geldhäuser täglich ihre Kaufanfrage nach Währungen jeglicher Art bekannt geben oder ihr Verkaufsangebot für Währungen, die sie nicht benötigen. Die Abschlüsse unterliegen einem freien Handel der Geldhäuser untereinander oder mit der Nationalbank. Sie werden von der Nationalbank nur statistisch erfasst. Die Nationalbank setzt dann am Ende eines Handelstages nach einer bestimmten mathematischen Formel den Referenzkurs der georgische Währungen zu anderen Währungen fest. Nur im Ausnahmefall und unter strengen Auflagen des Internationalen Währungsfonds kann die Nationalbank intervenieren, zum Beispiel bei kurzfristigen und außergewöhnlichen Veränderungen der Devisennachfrage. In diesen Tagen hat sie das schon zweimal gemacht, mit wenig Erfolg. Künstliche Stützungsmaßnahmen, die der Marktentwicklung des Lari entgegensteuern könnten, sind ihr untersagt. Das bedeutet auch, dass sich der Preis einer Währung an jedem Tag auch danach richtet, welche Summe dieser Währung gerade im Lande ist. Bei sinkenden Devisenzuflüssen und steigendem Devisenbedarf fällt unweigerlich der Lari. Anders ausgedrückt: Der Wechselkurs des Lari hängt auch von der Handelsbilanz des Landes ab und deren Defizit wächst Monat für Monat. Wenn immer mehr Devisen für Importe gebraucht werden, denen immer weniger Einnahmen für Exporte gegenüber stehen, muss das unweigerlich den Wert des Lari drücken. Es sei denn, die jeweils aktuelle negative Handelsbilanz kann durch andere Devisenzuflüsse ausgeglichen werden.

Die Nationalbank verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass das Land in den letzten Monaten rund 700 Millionen Dollar weniger an Devisenzuflüssen zu verzeichnen hatte als im Vorjahr. Zum einen sind Exporte zurückgegangen, die Importe aber gestiegen. Zum anderen flossen auch weniger direkte Investitionen aus dem Ausland zu, von denen der georgische Lari lange profitiert hat. Und zum dritten überweisen die georgischen Arbeitsmigranten vor allem aus Russland deutlich weniger Geld als früher, geschuldet natürlich dem Verfall der russischen Währung. In Russland arbeiten mehr als eine halbe Million georgischer Gastarbeiter, Menschen, denen ihr Heimatland keine Arbeit und kein hinreichendes Einkommen bietet. Ihre Überweisungen haben vor allem den Familien der unteren Einkommenshälfte in den letzten Jahren ein Überleben überhaupt ermöglicht. Sie haben jetzt weniger Geld und müssen überdies mit den Folgen der Lari-Abwertung, sofern sie sich in Preiserhöhungen niederschlagen, zurecht kommen.

Ob es wegen der Lari-Dollar-Schwäche überhaupt zu Preiserhöhungen kommen muss, ist fraglich. Zum einen drückt der Ölpreisverfall auf Energie- und Transportkosten. Zum anderen werden viele Importe, vor allem Lebensmittel, über andere Währungen abgewickelt, den Euro oder die türkische Lira. Und zu diesen Währungen hat sich der Lari in den letzten Monaten stabil behauptet. Erst seit zwei Tagen wird auch der Euro stärker.

Unabhängig davon, ob sich der Lari zum Dollar zur Sommerzeit wieder erholt, was viele Experten erwarten, bleibt für die georgische Volkswirtschaft ein grundsätzliches Problem. Das Land lebt nach wie vor über seine Verhältnisse, konsumiert mehr als es produziert, kauft mehr auf dem Weltmarkt ein als es dort verkaufen kann. Bei einem Hintergrundgespräch mit Vertretern der Deutschen Wirtschaftsvereinigung deckte Nationalbankpräsident Giorgi Kadagidze die Schwächen der georgischen Volkswirtschaft schonungslos auf. Sein Fazit: So lange Georgien kein Unternehmertum aufbaut, das Produkte herstellt, die auf dem Weltmarkt verkaufbar sind, sondern nur Unternehmer, die weltweit einkaufen, so lange wird der Wert des Lari immer davon abhängen, ob andere Gelder ins Land kommen oder nicht. Und so lange wird es immer wieder zu Wechselkursschwächen des Lari kommen. Und so lange, fügte ein Bankinsider hinzu, so lange nahezu alle Verträge im Land, Mietverträge und andere, immer in Dollar ausgehandelt werden statt in der georgischen Währung, so lange der Dollar als eigentliche Währung des Landes in den Köpfen auch derer dominiert, die keine Dollar besitzen, so lange wird es immer wieder zu hysterischen Debatten um die georgische Nationalwährung kommen. Vielleicht, so sein Vorschlag, sollte man – wie in anderen Ländern erfolgreich vorexerziert – deshalb alle öffentlichen Währungskursangaben an Wechselstuben verbieten. Das würde den Lari zwar nicht stärken, aber die Diskussion um ihn versachlichen.