Alles andere als traumhaft

Halbzeit beim Georgischen Traum – Zwischenbilanz und Ausblick

Vorbemerkung der Redaktion: Dieser Artikel ging am 4.11. nachmittags in   den Druck für die November-Ausgabe der KaPost. Am Abend eskalierte der Machtkampf in der Koalition vom Georgischen Traum, der mit dem Rauswurf von Verteidigungsminister Alasania endete.

Ob Bidsina Iwanischwili seine Koalition noch einmal „Georgischer Traum“ nennen würde, sei dahingestellt. Jedenfalls bietet diese politische Marke Beobachtern, aber auch der Opposition, genügend Möglichkeiten zu Wortspielen der vergnüglichsten Art. Träume sind manchmal nur Schäume, Träume zerplatzen gelegentlich wie Seifenblasen. Vom Träumer zum Traumtänzer ist nur ein kurzer Schritt. Und wer kann von sich behaupten, alle Träume seines Lebens seien in Erfüllung gegangen?

Nach zwei Jahren neuer Regierung kann man, muss man von allem anderen sprechen als von einer traumhaften Bilanz. Die Regierung hat nur einen Bruchteil der vielen, damals vollmundig vorgetragenen Wahlversprechen halten können, wie die Webseite www.dreammeter.ge geflissentlich nachzuweisen versucht. Die Webseite wird freilich von der Oppositionspartei Mikhail Saakaschwilis herausgegeben. Aber auch neutrale Beobachter stellen fest: Vor allem auf dem Gebiet Wirtschaftspolitik und Schaffung von Arbeitsplätzen wurde bis heute nahezu nichts von dem verwirklicht, was den Georgiern im Wahlkampf vorgeträumt wurde. Die Mehrheit der Bevölkerung ist nach wie vor arbeitslos, insbesondere im ländlichen Raum ist kaum etwas von dem Realität geworden, was vor zwei Jahren angekündigt wurde. Die Ansätze sind überschaubar. Da wird die Regierung in den nächsten zwei Jahren nachlegen müssen.

Zweifellos stehen dagegen Erfolge in einer besonnenen Außenpolitik, repräsentiert von der zurückhaltend auftretenden Ministerin Maja Pandschikidse. Im Wahlkampf war sie als Iwanischwilis Parteimanagerin noch fürs Grobe zuständig. Aber: Das Verhältnis zu Russland ist entspannter und einigermaßen normal geworden. Man spricht regelmäßig miteinander, so schwer es auch fallen mag. Die Ukrainekrise ist deshalb nicht nach Georgien übergeschwappt. Die EU-Assoziierung und das besondere NATO-Unterstützungspaket feiert die Regierung als große Erfolge. Beachtliche Fortschritte wurden auch im Bereich Justiz und Rechtsstaat gemacht. Sogar in Amerika und Westeuropa sind mittlerweile nahezu alle kritischen Stimmen, die der neuen Regierung eine revanchistische Rechtspolitik vorhielten, verstummt.

Die Koalition hat bis heute gehalten, wenn es notwendig war, geschuldet dem Druck, nie und nimmer vorzeitig scheitern zu dürfen. Aber die Risse im Gebälk dieser eigenartigen politischen Konstruktion sind nicht mehr zu übersehen. Eine eigenartige Konstruktion, weil sie schon vor den Wahlen in einer gemeinsamen Liste von acht recht unterschiedlichen Parteien zusammengezimmert wurde mit einer überstarken Dominanz der Partei Iwanischwilis, die der Koalition den Namen gab. Eine Partei, die damals noch keine Wahl bestanden hatte. Eine Partei, die eigentlich nur aus dem nicht zu brechenden Willen ihres Gründers bestand, der Regierung Saakaschwili, deren finanzieller Mäzen im Hintergrund er jahrelang war, ein Ende zu bereiten. Eigenartig auch, weil sie in ihrem inneren Gefüge noch immer von dieser einzigen Führungsfigur, abzuhängen scheint. Die Gerüchte wollen nicht verstummen, dass der Milliardär auch nach seinem Rücktritt vom Amt des Ministerpräsidenten im Hintergrund noch immer versucht, alle Fäden in seiner Hand zu halten. Gerüchte wollen auch nicht verstummen, dass er, der jetzt in einer TV-Talkshow ins öffentliche Leben zurückkehrt, damit seinen Wiedereinstieg in die Politik vorbereite, rechtzeitig vor den nächsten Wahlen. Beides dürfte nicht ganz einfach werden, was an drei wichtigen Personen der Traum-Koalition fest zu machen ist: Am Staatspräsidenten, am Parlamentspräsidenten, am Verteidigungsminister. Alle drei haben sich in den letzten Monaten in einer Weise öffentlich positioniert, dass man nicht mehr davon ausgehen kann, dass das Modell Bidsina in zwei Jahren so überlebt, wie er es einmal konstruiert hat.

Da wäre zum ersten Giorgi Marghwelaschwili, der Präsident, seit einem Jahr im Amt und damals Iwanischwilis Wunschkandidat. Dabei wurde unterschwellig immer unterstellt, dass Iwanischwili mit dem Philosophie-Professor bewusst eine eher schwächlich einzuschätzende, öffentlich kaum bekannte Figur ausgesucht hatte. Ohne Iwanischwilis massiven Wahlkampfeinsatz wäre Marghwelaschwili schwerlich gewählt worden. Der Präsident hat seinen früheren Mentor aber eines anderen belehrt. Nicht nur, weil er trotz anderer Versprechen den Präsidentenpalast Saakaschwilis wieder zum Sitz des Staatspräsidenten gemacht hat, wobei er freilich nur einen Teil des protzigen Gebäudes benutzt. Iwanischwili hat den Präsidenten deswegen öffentlich geradezu abgewatscht und ihm demonstrativ seine Unterstützung entzogen. Zeitweilig war in dem peinlichen Kasperltheater zwischen Regierung und Präsidialamt in Sachen repräsentativer Kompetenzen sogar die Absetzung Marghwelaschwilis diskutiert worden. Was diesen allerdings nicht daran hinderte, immer wieder eigene Duftmarken im politischen Alltag zu hinterlassen. Jüngstes Beispiel: Sein Veto gegen ein Gesetz, das die Kompetenzen des Innenministeriums bei geheimen Abhöraktionen regeln soll. Die Parlamentsmehrheit des Georgischen Traums hat das Veto akzeptiert, obwohl sich ihr Premierminister deutlich gegen die Position des Präsidenten ausgesprochen hatte. Ein normaler demokratischer Vorgang, wird jetzt abgewiegelt, der allerdings die Stellung Marghwelaschwilis zweifellos wieder gestärkt hat. Nicht unbedingt zum Gefallen des großen Mannes im Hintergrund und seines ihm treu ergebenen Regierungschefs. Aber es scheint: Der Präsident ist in nur einem Jahr aus der Rolle als Ziehsohn Iwanischwilis herausgewachsen und versucht, dem Amt die neutrale und überparteiliche Position zu verschaffen, die es braucht, soll die Verfassung einen Sinn machen.

Dass die Koalition vom Georgischen Traum in einer schwierigen Phase steckt, zeigt vor allem Parlamentspräsident Davit Usupaschwili, der die Traditionspartei „Republikaner“ repräsentiert, eine Partei, die schon im Sowjetuntergrund aktiv war. Usupaschwili mahnte für die Zukunft eine größere inhaltliche Eigenständigkeit der Parteien innerhalb der Koalition an. Im Rahmen des Koalitionsabkommens müsse es den Parteien erlaubt sein, auch eigene Meinungen zu vertreten. Eigentlich, so das Positionspapier der Republikaner, sollte sich die Koalition in ein Parteienbündnis europäischen Stils umwandeln, was nichts anderes heißen kann, als die Dominanz einer Partei oder eines „Übervaters“ zu beenden. Damit hat Usupaschwili wohl schon den nächsten Wahlkampf eröffnet, in dem die Republikaner, so kann man vermuten, als selbständige Partei antreten werden. Auf der vor den letzten Wahlen aufgestellten Einheitsliste des Georgischen Traums haben es die Republikaner nur auf acht Parlamentssitze gebracht. Sie können sich auch wegen der Popularität ihres besonnenen Parlamentspräsidenten in zwei Jahren sicher einen erklecklichen Zuwachs ausrechnen, wenn sie unabhängig kandidieren.

Der dritte Politiker, der sich in zwei Jahren aus dem Schatten des übermächtig erscheinenden Iwanischwili gelöst hat, ist zweifellos Verteidigungsminister Irakli Alasania. Er repräsentiert die Partei „Unser Georgien – Freie Demokraten“. Er ist der außenpolitische Leistungsträger dieser Regierung. Kein anderer Politiker hat vor allem in Europa und den USA soviel Reputation wie der frühere Botschafter Georgiens bei den Vereinten Nationen. Auch Alasania hat längst nicht mehr die ungebrochene Unterstützung Iwanischwilis, wie dieser in mehreren Interviews deutlich gemacht hat. Innenpolitisch droht Alasania derzeit erhebliches Ungemach, da Ende Oktober während einer Auslandsreise des Ministers fünf hohe Chargen seines Hauses, Militärs und Zivilbeamte, wegen des Verdachts einer Millionenunterschlagung in Untersuchungshaft genommen wurden. Die in solchen Fällen überbordende georgische Gerüchteküche ließ denn auch vernehmen, dass hinter diesem Justizmanöver koalitionsinterne Intrigen stünden, um Alasania zu schwächen. Alasania selbst hat nach seiner Rückkehr aus Deutschland diese Gerüchte indirekt bestätigt, indem er erklärte, er sei von der Unschuld „seiner Jungs“ überzeugt. Gleichzeitig kündigte er an, später darüber reden zu wollen, ob dieser Fall „politisch motiviert sei oder nicht“. Es wurde gar spekuliert, Alasania könne sofort die Koalition verlassen und sich in einen zweijährigen Dauerwahlkampf für seine Partei stürzen. Die Koalition verlöre damit einen ihrer profiliertesten Politiker und hätte diesen bei den Wahlen als Konkurrenten.

Blieben noch zwei Aspekte bei der Halbzeitbilanz des Georgischen Traums. Ministerpräsident Irakli Gharibaschwili, dem es nicht gelingen will, sich vom Image des treuen Iwanischwili-Gefolgsmannes zu lösen. Ob er den schleichenden inneren Zerfall des Bündnisses aufhalten kann, ist mehr als fraglich. Noch fraglicher dürfte sein, ob der eher blasse Technokrat in zwei Jahren als Spitzenmann die Wählerschaft emotional erreichen kann. Der zweite Aspekt: Wo ist die Opposition, die Vereinte Nationale Bewegung unter ihrem Ehrenvorsitzenden im Exil, Mikhail Saakaschwili? In der sachlichen Parlamentsarbeit ist sie kaum wahrnehmbar. Aber: Nach langem Tiefschlaf will sie sich am 15. November mit einer Massendemonstration zumindest auf den Straßen der Hauptstadt wieder zurückmelden.

Der Parlamentswahlkampf im Herbst 2016 hat in den Köpfen der Parteistrategen längst begonnen. Ein Wahlkampf, dem erstmals seit 25 Jahren keine Lichtgestalt ihren Stempel aufdrücken kann, bei dem Parteien dann eher mit Inhalten und Programmen punkten müssen. Dem Land steht – wieder einmal – eine demokratische Reifeprüfung der besonderen Art bevor.