„The Shin“ beim Eurovision Song Contest

Stuttgart, Georgien und der Eurovision Song Contest

Wenn am 8. Mai die zweite Vorausscheidung zum diesjährigen Eurovision Song Contest stattfinden, haben Stuttgart und Tiflis etwas gemeinsam: Beide Städte können drei Musiker für sich reklamieren, die gemeinsam mit einer georgischen Sängerin auf der Bühne stehen. Es handelt sich im Zaza Miminoschwili, Zurab Gagnidze und Mamuka Gaganidze, bekannt unter ihrem Bandnamen „The Shin“. Die drei Musiker wohnen nämlich seit 1994 in der schwäbischen Metropole. Das Wettbewerbslied „Three minutes to Earth“ wurde in einem Tonstudio in der schwäbischen Provinz produziert.

Abgemischt wurde es allerdings in dem weitaus prominenteren Studio „Abbey Road“ in London, wo früher keine geringeren als die „Beatles“ ihre Welthits produzierten. „Wir sind doch Beatles-Generation. Da passt das schon zusammen“ sagt Zaza verschmitzt, denn mit seinen 60 Jahren ist er vermutlich einer der ältesten Mitstreiter bei diesem Event der Jugend Europas. Zurab zählt 55, fast eine Altherrenriege also, aufgehübscht von der 30 Jahre jungen Tifliser Jazz-Sängerin Mariko Ebralidze und dem Percussionisten Mamuka Gaganidze. Zaza spielt Akustikgitarre, Zurab Elektrobass.

Vor 20 Jahren hatten Zaza und Zurab ihren ersten Auftritt in Deutschland. Damals noch mit der Tifliser Jazz-Formation „Adio“, die für einen lupenreinen, nahezu akademischen Jazz über die Grenzen Georgiens hinaus bekannt war. In den frühen 90-er Jahren, als in Tiflis nahezu nichts ging, waren Adio-Konzerte die einzige Abwechslung vor allem für Ausländer in der Stadt. Adio spielte regelmäßig im Keller-Jazzclub des Intourist-Hotels „Adshara“, heute Holiday Inn. Der Sohn des damaligen Direktors war ein Jazzfan. Ein Glücksfall in diesen Zeiten, in denen in Tiflis eher tote Hose angesagt war. In den letzten Jahren der UdSSR waren sie oft genug in Moskau aufgetreten. Zaza Miminoschwili war damals auch ein gefragter Komponist von Filmmusiken. Newcomer für ein Festival wie der ESC sehen anders aus.

Ab Mitte der 90er Jahre verschrieben sich die drei unter den Namen „The Shin“ der Worldmusic. Shin heißt, auf deutsch übersetzt, Rückkehr. Eine Name mit einer Botschaft: Die in Deutschland gegründete Band wollte sich intensiv mit der Musik ihres Heimatlandes beschäftigen, allerdings nicht museal bewahrend. Das Ziel war von Anfang an, die Polyphonie Georgiens mit dem Musikrichtungen der Welt zusammen zu bringen. Die ehemaligen Jazzer adaptierten alle möglichen Musikstile – Flamenco, Beat, Rock, auch Klassik – und mixten sie mit der traditionellen polyphonen Musik Georgiens in einer selten virtuosen Weise. Als Trio treten sind sie seit Jahren Stammgäste in vielen internationalen Musikclubs. Und regelmäßig haben sie auch größere Bühnenproduktionen herausgebracht, zusammen mit Symphonie-Orchestern oder mit einem indischen Tabla-Spieler, ein anderes Mal mit je einem Musiker aus allen Anrainer-Staaten des Schwarzen Meeres: „Blacksea Fire“. „The Shin“ bereicherte viele Worldmusic-Festivals vornehmlich in Europa, aber auch in Asien und Amerika. Im Jahr 2009 erhielten sie den Creole-Preis, die höchste deutsche Auszeichnung für Worldmusic.

Zu der Ehre, ihr Heimatland in Kopenhagen vertreten zu dürfen, kamen sie recht kurzfristig. Keinen Monat Zeit verblieb zum Komponieren, Texten und Einspielen des Liedes. Und „The Shin“ wäre nicht „The Shin“, hätten sie sich nicht eine eigenwillige Geschichte ausgedacht für ihren Song. Für den üblichen ESC-Mainstram konnten sie sich nicht hergeben. Ausgehend von ihrem Namen, der ja Rückkehr bedeutet, erzählen sie in ihrem Lied die Rückkehr der Menschen zu Erde, die sie zuvor verlassen hatten. Und weil ein ESC-Song nur maximal drei Minuten dauern darf, heißt das Lied eben „Three minutes to Earth.“ Ein Song, der Musikkritiker schwärmen lässt. Ob er allerdings den europäischen Massengeschmack trifft, wird sich erst noch erweisen müssen.

Im Gegensatz zu anderen Wettbewerbsbeiträgen verzichten „The Shin“ auch auf aufwändige Orchesterbegleitung, die ohnehin nicht live aufgeführt werden darf. Bis auf den Gesang kommt in Kopenhagen alles vom Band. „Unser Arrangement hat nur die Instrumente, die wir selbst spielen und die in Kopenhagen auf der Bühne zu sehen sind. Wir können unseren Sound überall auf der Welt, in jedem kleinsten Club live genauso auf die Bühne bringen wie auf der großen Bühne des ESC.“ Für das Festival sicher auch eine Art Rückkehr, eine Rückkehr zu handgemachter, ehrlicher Musik, für die „The Shin“ schon immer stand. So ist es auch nicht verwunderlich, dass die drei Georgier ihren Festival-Beitrag mit dem Wort „Shin“ beenden.

Seit mehr als 20 Jahren kenne ich die Jungs von „The Shin“ von ihren Anfängen als „Adio“ in Tiflis, von Auftritten in Clubs oder auf Festivals. Mehrfach habe ich in Georgien und Deutschland elbst „Shin“-Konzerte veranstaltet. Meistens allerdings haben wir uns in den letzten 20 Jahren auf den Flughäfen getroffen von Frankfurt oder Tiflis getroffen. Und oft genug, auf die Frage, wie es denn laufe, haben sie geantwortet: „Irgendwann wird sie kommen, unsere Zeit.“ Mit Kopenhagen könnte für Zaza, Zurab und Mamuka eine neue Zeitrechnung anbrechen.                                                                             Rainer Kaufmann

Hier der Link zu einer Konzertkritik aus dem Jahr 2003: http://www.erkanet.de/georgien-news/oldarchiv/archive/2003/issue_018_2910/shin.php