Abscheuliches im Internet

Wahlkampf der unterirdischen Art

Das alles ist nicht unbedingt neu im postsozialistischen Georgien: Die Verunglimpfung des politischen Gegners durch heimlich aufgenommene Videos, die im Internet gepostet werden. Vornehmlich zu Wahlkampfzeiten traf es immer wieder Oppositionspolitiker, was zu allerlei Spekulationen über das Rechtsstaatsverständnis der jeweils Regierenden und ihrer Handlanger in den Sicherheitsorganen Anlass gab. Das war unter Saakaschwili so. Das hat sich – trotz aller Versprechungen der Regierung des Georgischen Traums – anscheinend bis heute nicht geändert. Jüngste Folge der abscheulichen Film-Festspiele: Oppositionspolitiker wurden auf einem Internet-Portal in eindeutig-zweideutigem Freizeitvergnügen, heimlich aufgenommen natürlich, vorgeführt, teilweise mit der Aufforderung, aus der Politik auszusteigen, um weitere Veröffentlichungen zu vermeiden. Auch eine Journalistin und zwei Abgeordnete der Regierungskoalition wurden unter Androhung, solche Videos von ihnen zu zeigen, aufgefordert, abzutreten. Die Videos wurden, wie auch immer das geschehen kann, durch die Sicherheitsorgane des Landes nach kurzer Zeit aus dem Netz entfernt. Der Aufschrei der Empörung war allenthalben groß. Präsident und Premierminister erklärten, der gesamte Staatsapparat würde alles tun, um die Verantwortlichen des schändlichen Treibens ausfindig zu machen und zu bestrafen. Und in der Tat wurden zwei oder drei Tage nach den Skandalveröffentlichungen im Internet die Verhaftung mehrerer Verdächtiger gemeldet, einer von ihnen ein früherer Mitarbeiter des Verfassungsschutzes unter Saakaschwili. Nach den Erfahrungen mit der georgischen Justiz, darf man gespannt sein, welche juristischen Folgen der gewohnt schnelle Fahndungserfolg zeitigen wird. Die Festgenommenen jedenfalls bestreiten die Tat. Und selbst wenn sie von einem Gericht verurteilt werden sollten, die Frage nach den eventuellen Hintermännern im Umfeld der Regierung wird sich kaum unterdrücken lassen. Wer jahrelang in aller Offenheit parteipolitische und persönliche Feindbilder pflegt und das mit mehr als nur fragwürdigen Methoden und Argumenten, wird seine Hände nur schwer in Unschuld waschen können.

Die Regierung, die sich ansonsten auf ihrem Weg in die Euro-Atlantische Integration immer wieder besonderer Fortschritte im Bereich der Rechtsstaatsreformen und der „Good Governance“ lobt, muss sich jetzt Fragen stellen, die das Selbstverständnis des Rechtsstaates berühren. Zum Beispiel: Warum alle einschlägigen Videos nicht vernichtet wurden, obwohl dies nach dem Wahlsieg des georgischen Traums versprochen wurde. Offensichtlich ist dies nicht geschehen. Denn die Szenen, die jetzt gezeigt wurden, sind älteren Datums. Während der frühere Innenminister und spätere Premier sofort nach dem Wahlerfolg des Georgischen Traums im Fernsehen demonstrativ Datenträger schredderte, erklärte jetzt der Ombudsmann, dass mehr als 26.000 – in Worten: sechsundzwanzigtausend – einschlägige Videoclips der Staatsanwaltschaft übergeben wurden, damit diese in Sachen Verletzung der Privatsphäre ermitteln kann. Von Ermittlungen oder gar Strafverfahren kann aber keine rede sein, kaum verwunderlich, denn das Personal auf der Arbeitsebene in Polizei, Sicherheitsdiensten und Staatsanwaltschaft ist nach wie vor dasselbe, das es zu Saakaschwilis Zeiten war. Und diese Leute sind bestens vernetzt. Eine Generalamnestie mit gleichzeitiger Vernichtung aller Videos samt Kopien – sofern das überhaupt möglich ist -, wäre der ehrlichere Weg gewesen. Herkules und der Saustall des Augias lassen grüßen.

Zu fragen ist auch, warum es überwiegend Politiker trifft, die eindeutig prowestlich orientiert sind. Es ist nicht auszuschließen, dass mit diesen Schmuddel-Videos auch das liberale, rechtsstaatliche Parteienlager in den Schmutz gezogen werden soll: „Schaut her, das versteht man unter den Werten westlicher Freiheit.“ Es gibt nicht wenige in Georgien, aber auch außerhalb des Landes, die genau auf diese Stimmung im Volk setzen. Ob sie unter den Hintermännern der Kampagne zu vermuten sind?

Fragen könnte man auch, warum die heimlichen Mitschnitte von Telefongesprächen Saakaschwilis aus der Ukraine vor einem Jahr keine Verletzung der Privatsphäre waren oder das Video eines Treffens mit UNM-Freunden im türkischen Sarpi. Da gibt es bis heute wohl keine Ermittlungsergebnisse. Warum auch? Und zu fragen wäre, welche Video-Munition noch in den Giftschränken gewisser Strukturen im Lande lagert. Und wer alles davon weiß, wer im Zweifel Zugriff zu dem zweifelsohne illegalen und brisanten Material hat. Wo überall Kopien dieses Materials vergraben sind.

Etwas Gutes könnte trotzdem aus alledem erwachsen. Die bedrohte Journalistin hat sich ganz offen zu ihrem Sexualleben bekannt und erklärt, sich den unbekannten Erpressern nicht zu beugen. Auch Staatspräsident Margwelaschwili bekannte öffentlich: „Sex und Sexualität sind nichts Schamhaftes. Ich habe ein Sexualleben, ich hatte ein reichhaltiges Sexualleben und ich werde auch in Zukunft mehr davon haben.“ Und er versprach, alle Betroffenen dieser illegalen Videos zu schützen, wie auch immer er das bewerkstelligen will. Wichtig aber ist: Mit diesen beiden Statements hat – endlich, wollte man sagen – wenigstens ansatzweise ein öffentlicher Diskurs über ein Thema begonnen, das in weiten Kreisen der georgischen Bevölkerung mehr oder weniger als Tabu-Zone gilt. Was, wenn sich auch andere Betroffene dieser Video-Kampagne outen und sich dem öffentlichen Diskurs über das Thema „Schlafzimmer und Staat“ anschließen könnten? Dann hätten die Video-Kriminellen etwas erreicht, was sie auf keinen Fall wollten, eine offene gesellschaftliche Diskussion, die das Land vielleicht sogar verändern könnte, die es von einen Teil seiner moralischen Verklemmtheit befreien könnte.

Übrigens: Die georgischen Medien haben sich, soweit erkennbar, an die Übereinkunft gehalten, Namen und Positionen der Betroffenen nicht öffentlich zu nennen, wiewohl sie im Lande bekannt sind. Es lag an ausländischen Medien, vor allem an russischen, aber auch an westlichen, diese ehrenhafte Zurückhaltung zu durchbrechen.