In eigener Sache

Ein offenes Wort des Herausgebers

Dass Abonnements nicht verlängert werden, gehört zum Verlags-Alltag. Wenn aber ein Abonnement, das für ein Jahr abgeschlossen wurde, mitten im Jahr gekündigt wird und gleichzeitig die Restsumme der nicht mehr zu liefernden Ausgaben zur Überweisung angemahnt wird, dann müssen sich Redaktion und Verlag schon Gedanken machen. Geschehen kurz nach dem Erscheinen der März-KaPost mit der Titelstory über den Besuch des Bundestagspräsidenten Norbert Lammert in Tiflis. Ein deutsche Parteienstiftung in Tiflis, die ich hier nicht nennen will, hat das KaPost-Abo Mitte März mit sofortiger Wirkung gekündigt. Ich kann nur vermuten, dass der Bericht über die Rede des Bundestagspräsidenten Auslöser für diese Entscheidung war. Ein Bericht, für den die KaPost von einigen Zuhörern der Veranstaltung durchaus auch Lob und Anerkennung erhielt. Dies nur nebenbei.

Der Verlag kann diesen Verlust verschmerzen, wenngleich er die Abo-Gebühren für die nächsten vier noch ausstehenden Monate aus grundsätzlicher Erwägung nicht erstatten wird. Pacta sunt servanda. Der Verlag der KaPost hat der betreffenden Stiftung dafür angeboten, den Restbetrag von GEL 22,50 einer wohltätigen, georgischen Einrichtung zu überweisen, wenn die Stiftung eine solche zu nennen, bereit ist.

Sollte die Berichterstattung über den Lammert-Besuch tatsächlich der grund für diese Abo-Kündigung sein,stellt sich mir die Frage nach dem Demokratieverständnis dieser deutschen Parteienstiftung, die hier – mit deutschen Steuergeldern finanziert – Demokratie, Zivilgesellschaft und Rechtsstaat propagieren soll. Gehört das Recht auf freie Meinungsäußerung nicht auch dazu? Vor etwas mehr als 40 Jahren habe ich als junger Journalist ein berufliches Fortbildungs-Seminar eben dieser Stiftung besucht. Damals wurde mir allerdings ein ganz anderes Verständnis von Pressefreiheit vermittelt.

Rainer Kaufmann

PS.: Zur Information nachfolgend die beiden Texte zum Besuch des Bundestagspräsidenten Lammert, die wir in der Februar-Ausgabe der KaPost veröffentlicht hatten.

Helsinki als dauerhafte Vision
Bundestagspräsident Norbert Lammerts Rede bei der Konrad-Adenauer-Stiftung in Tiflis

Vielleicht hätte Norbert Lammert besser daran getan, in Deutsch zu reden als in Englisch, wie er selbst in seinem Vortrag mehrfach erwähnte. Es wäre ihm dann, so sagte er, oftmals leichter gefallen, seine Gedankengänge in die richtigen Worte zu fassen. Und, so fügte eine georgische Politikwissenschaftlerin mit besten Deutsch- und Deutschland-Kenntnissen an, es wäre dann vielleicht auch die brillante Rede geworden, die sie eigentlich von ihm erwartet hatte. So sprach er aber in Englisch, in einem Englisch, das immerhin einen Vorteil hatte, dass nahezu jeder im Saal dem Redner und seinen beharrlich historisch begründeten Überlegungen zur aktuellen politischen Konfliktsituation in Europa folgen konnte.

„Europas Friedensordnung, zwischen Verträgen und Konflikten“ so war der Vortrag von der Konrad-Adenauer-Stiftung angekündigt, in dem der Präsident des Deutschen Parlaments seinem georgischen Auditorium hin und wieder einiges abverlangte. Etwa, als er die Jahrzehnte deutscher Teilung erwähnte und erklärte, es habe beim Bau der Berliner Mauer eben nur diese eine Option gegeben, die der Beharrlichkeit und Geduld. Friedliche Lösungen von Konflikten, wiederholte er gebetsmühlenhaft, bräuchten eben Zeit, oftmals viel mehr Zeit, als die Menschen, die unter ihnen zu leiden haben, einsetzen wollten oder gar könnten. Der etwas entnervten konkreten Gegenfrage eines jungen Georgiers, wie viel Zeit Lammert denn veranschlage, bis Georgien seine von Russland besetzten Gebiete zurückbekomme, konnte er nur mit dem Hinweis begegnen, dass er nicht die Gabe der Prophetie hätte. Aber: „Haben Sie eine andere Option? Und wenn ja, können Sie nachweisen, dass Sie mit dieser Option das Ziel schneller erreichen?“

Ein anderes Beispiel: Im Hinblick auf den gewünschten Beitritt zu NATO und EU machte Norbert Lammert deutlich, dass die Länder der Östlichen Partnerschaft ihre territorialen Probleme nicht über einen solchen Beitritt lösen könnten. Sie müssten dies vorher aus eigener Kraft schaffen. „EU und NATO sind nicht die Lösung der Probleme. EU und NATO können aber helfen, die Probleme zu lösen.“ Klare Worte, ohne jede Dramatik nüchtern und sachlich vorgetragen, die aber den Zielkonflikt in diesen Ländern deutlich machen, die in den eingefrorenen Konflikten und ihrer Euro-atlantischen Grundorientierung liegt. Damit auch die strategischen Einflussmöglichkeiten des großen Nachbarn im Norden oder Osten, Russland.

Thema Russland. Lammert spannte in seiner Rede einen großen historischen Bogen über die beiden Weltkriege des letzten Jahrhunderts, bei denen niemand, der sie begonnen habe, sein Ziel auch nur annähern erreicht habe. Im ersten hätten die Nationalstaaten Europas, die es heute und für alle Zukunft in dieser Form nicht mehr gibt, versucht, sich gegenseitig zu beherrschen. Im zweiten Weltkrieg habe Deutschland versucht, die Herrschaft über Europa zu gewinnen, was zur langjährigen Spaltung Europas und Deutschlands geführt hat. Die Überwindung dieser Spaltung sei erst mit der Schlussakte der Helsinki-Konferenz vor jetzt 40 Jahren gelungen, für Lammert das wichtigste Datum der europäischen Geschichte. In diesem Vertrag hätten sich alle europäischen Staaten, einschließlich Russland, verpflichtet, die gegenseitige Unabhängigkeit und Souveränität zu schützen, nicht in die Angelegenheiten des anderen einzugreifen und das Selbstbestimmungsrecht der Völker anzuerkennen. Die Nebenbemerkung, dass dieser Vertrag von zwei deutschen Staaten unterzeichnet wurde, dass die Bundesrepublik also staatlich-institutionell mit der DDR an einem Tisch gesessen hatte, war wohl nur als dezenter Hinweis zu verstehen, mit „Staatsgebilden“, deren Recht man eigentlich nicht anerkennt, trotzdem auf Augenhöhe umzugehen. Deutschland habe damals auch eine Vorleistung erbracht, in dem die Bundesrepublik Deutschland die Grenzen Polens, wie sie sich nach dem zweiten Weltkrieg ergeben hatten, völkerrechtlich anerkannte. Ein damals mehr als schmerzhafter Prozess mit heftigen innenpolitischen Verwerfungen.

Überhaupt Helsinki: Zur aktuellen Krise in Europa, vor allem in der Ukraine, bezog sich Norbert Lammert immer wieder auf diesen Vertrag. Niemand wolle Russland etwa europäische Wertvorstellungen aufdrängen. „Wir können und müssen Russland aber immer wieder auffordern, die Prinzipien des Helsinki-Vertrages, den es selbst unterschrieben hat, anzuerkennen und anzuwenden.“ Völkerrechtsverletzungen, wie sie Russland zweifelsohne begangen habe und begehe, könnten nicht mit militärischen Mitteln beantwortet werden, aber mit wirtschaftlichen Sanktionen und der Beharrlichkeit, internationales Recht durchzusetzen. Russland habe zwar jetzt Geländegewinne, dafür aber einen strategischen Verlust, der langfristig schwerer wiege.

Europa mangele es an einer starken politischen Führung, wurde Lammert entgegen gehalten. Ob nicht Deutschland endlich diese Führungsrolle übernehmen könne. Lammerts Anwort: Deutschland übernehme in der Zusammenarbeit mit allen europäischen Ländern, auch den USA, seinen Teil der Verantwortung. Aber nach den Erfahrungen des letzten Jahrhunderts sei der überwiegenden Mehrheit seiner Landsleute jegliches politische Führungsgen in Europa abhanden gekommen. Was Davit Usupaschwili, den georgischen Parlamentspräsidenten zu der Replik verleitete, dass der nördliche Nachbar seines Landes genetisch ganz anders aufgestellt sei. Dort bestimme noch immer das Gen, andere beherrschen zu wollen, die Politik. Ob Deutschland sich daran ein Beispiel nehmen wollte oder an der Führungsrolle, die die USA in den letzten Jahrzehnten übernommen hätten, hatte ein anderer Diskussionsteilnehmer gefragt. Erst einmal Schweigen bei Lammert. Dann wieder der Hinweis auf die leidvolle europäische Geschichte des letzten Jahrhunderts und dass jetzt in Europa, gemeint im Europa der EU, 28 Staaten mit einer Stimme sprächen. Eine Entwicklung, die Jahrzehnte gebraucht hat und die ohne den Helsinki-Prozess niemals möglich gewesen wäre. Helsinki als dauerhafte Vision und Gegenentwurf zu imperialen Machtgelüsten. Dieser Prozess habe nicht nur das Ende der Spaltung Deutschlands und Europas eingeleitet, erinnerte Lammert sein georgisches Auditorium, er habe, auch Ländern wie Georgien erst die Chance auf Unabhängigkeit gegeben.

 

Die üblichen Verdächtigen
Es lag an Davit Usupaschwili, dem georgischen Parlamentspräsidenten, dem Auftritt von Norbert Lammert ein kleines satirisches Highlight zu verschaffen. Usupaschwili erinnerte an Lammerts ersten Besuch in Georgien vor etwas mehr als acht Jahren, der einen völlig unerwarteten Verlauf genommen habe. Lammert sei damals am 10. Oktober nachmittags in Tiflis angekommen, habe seine protokollarisches Höflichkeits-Programm abgespult und alle „üblichen Verdächtigen“ aufgesucht, um dann am nächsten Morgen um 5.30 Uhr zu einem wichtigen Termin nach Deutschland zurück zu fliegen. Am späten Nachmittag sei er wieder in Georgien erschienen, um das ursprünglich zugesagte Besuchsprogramm fortzusetzen. Unter den üblichen Verdächtigten muss man wohl verstehen: Staatspräsident, Regierungschef, Parlamentspräsident und Außenminister – alles Institutionen, die Lammert auch bei dieser Georgienreise aufsuchte. „Übliche Verdächtige.“ Daneben gab es bei dieser Reise aber auch Gespräche mit Vertretern von Religionen und der Zivilgesellschaft, interessante Termine, über die wir gerne berichtet hätten. Auf die Berichterstattung der Treffen mit den „üblichen Verdächtigen“ wie hier mit Davit Usupaschwili verzichten wir gerne. Die „üblichen Statements“ beider Seiten sind unseren Leserinnen und Lesern hinlänglich bekannt.