Ein eigenwilliges Rechtsverständnis

Gegen-Demo am Internationalen Tag gegen Homophobie

Nachträgliche Anmerkung des Verfassers: In dem Kommentar schreibe ich von nicht einmal 1.000 Menschen. Dies war eine Momentaufnahme um 16.00 Uhr, als ich vor dem Parlamentsgebäude war und die Demonstration fotografierte. Einige Stunden früher waren es sicher einige Tausend Menschen, das habe ich erst nachträglich in den vielen Videos im Internet realisiert. Sorry.  Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass die Polizei nicht in der Lage war, das Recht auf Meinungs- und Demonstrationsfreiheit auch einer Minderheit zu garantieren. Eine Verfassung ist für alle da, auch für Minderheiten. Und es entschuldigt auch keineswegs die nachträgliche Rechtfertigung des Klerikers für die Rechtsverletzungen. Auch wenn sie von Tausenden begangen wird, bleibt eine Rechtsverletzung eine Rechtsverletzung. Zumindest nach dem europäischen Wertekodex, den Georgien für sich immer reklamiert.

Aktueller Kommentar zu den Demonstrationen vom 17. Mai

Als im September letzten Jahres der orthodoxe Klerus zum ersten Mal seine politische Zurückhaltung aufgab und sich auf einer Straßendemonstration zeigte, ging es um erhebliche Menschenrechtsverletzungen in georgischen Gefängnissen. Bei der von georgischen Klerikern heute am 17. Mai, dem internationalen Tag gegen Homophobie, angeführten Demonstration ging es wieder um Menschenrechte, nämlich um das Recht auf freie Meinungsäußerung und friedliche Demonstration, das rund 50 Schwule und Lesben aus Georgien mit einer friedlichen Demonstration für sich in Anspruch zu nehmen gedachten. Diesmal stand der Klerus nicht auf der Seite der Menschenrechte, diesmal hat er Menschen, die anderer Meinung sind, an der Ausübung dieser Rechte gehindert. Und das unter Missachtung von Recht und Verfassung. Die Polizei, die mit einem Riesenaufgebot in der Stadt war, um zu verhindern, dass beide Demonstrationen aufeinander treffen, war dieser Aufgabe nicht gewachsen. Oder sie hat es nicht gewagt, sich gegen den Klerus und seinen Anhang zu stellen. Statt das Recht auf Demonstrationsfreiheit, das die Justizministerin noch für beide Demonstrationen gefordert hatte, durchzusetzen, konnte sie die von einem pöbelnden Mob bedrohten Schwulen und Lesben gerade noch in Sicherheit bringen und evakuieren. Dabei wurden rund 20 Menschen verletzt. Ein schlechter Tag für Georgien, das in den letzten Monaten mit einer besonderen demokratischen Reife auf sich aufmerksam machte.

Bemerkenswert ist die anschließende Stellungnahme eines orthodoxen Bischofs, der selbst in vorderster Front gestanden und – „mit Gottes Hilfe“ – Polizeibarrieren durchbrochen hatte. Dies sei notwendig gewesen, sagte er, weil sonst etwas Schlimmes geschehen wäre, womit er die Demonstration von Schwulen und Lesben meinte. Der Bischof hat wohl ein besonderes Verhältnis zu den Regeln eines Rechtsstaates. „Unsere Nation zeigte heute, dass es die Liebe Gottes, durch die Gott uns schützt, verdient. Die Nation hat heute ihre Identität gezeigt.“ Des Bischofs Nation, das waren nicht einmal 1.000 seiner Anhänger, die auf der Straße seiner Auffassung von Recht und Ordnung mit Gewalt zum Durchbruch verhalfen. Die Welt müsse die Georgier so akzeptieren, wie sie sind. „Wenn sie Menschen mit Perversionen akzeptieren, warum akzeptieren sie dann nicht Menschen, die ein normales Leben führen?“ Und an die Politik richtete er noch eine Warnung, sie solle sich ihre Statements zu Lesben und Schwulen sehr genau überlegen, es stünden ja demnächst wieder Wahlen an.

Schon einmal seit dem Ende der UdSSR hatten religiöse Eiferer mit erheblichen Rechtsverletzungen von sich reden gemacht. Das war noch zu Schewardnadses Zeiten, als ein exkommunizierter Priester, der aber trotzdem seine Unterstützung im Patriarchat und dem Heiligen Synod hatte, mit seinem Anhang gegen Protestanten und Baptisten zu Felde gezogen war. Erst nach langem Abwarten hatte sich der Staat schließlich bereit gefunden, dem Treiben ein Ende zu setzen, den Priester zu verhaften und vor Gericht zu stellen. Es wird jetzt wieder allen Mut der Staatsorgane brauchen, die offensichtlichen Rechtsverletzungen dieses Tages mit den Mittel des Rechtsstaates aufzuklären und zu ahnden, wenn Gesetze für jedermann gelten sollen. Der Ombudsman jedenfalls hat dies bereits gefordert. Sein Fazit: „Es ist bedauerlich, dass am Internationalen Tag gegen Homophobie in Georgien eben diese Haltung, Homophobie, gezeigt wurde.“ Der EU-Delegationsleiter, der noch bei Menschrechtsverletzungen der alten Regierung geflissentlich weg geschaut hat, beklagte umgehend, es sei eine Schande, dass Georgien nicht in der Lage sei, seine internationalen Verpflichtungen in Sachen Menschenrechte zu erfüllen. Und Thomas Hammarberg, der EU-Berater für Menschrechte und Demokratie bei der georgischen Regierung, hat den Patriarchen Ilia II. persönlich aufgefordert, mit seiner Autorität zur Einhaltung von Recht und Ordnung aufzurufen. Da wird der wohl bei seinem Bischof anfangen müssen und die neue georgische Regierung hat seit heute eine zusätzliche Baustelle.

                                                                                                                   Rainer Kaufmann