Politischer Erdrutsch

Nach den Wahlen in Georgien   

von Rainer Kaufmann

Was ist jetzt richtig? Hat Bidsina Iwanischwili einen großartigen Wahlsieg eingefahren oder Michael Saakschwili von den Wählern eine Quittung für seinen mehr oder weniger absolutistischen Regierungsstil der letzten Jahre bekommen? Wenn man die Stimmung im Lande betrachtet, wird man das Wahlergebnis in erster Linie als eine Anti-Saakaschwili Wahl interpretieren müssen. Vor allem in den Städten hat er nahezu jeglichen Rückhalt in der Bevölkerung verloren. Zieht man von den Wahlberechtigten diejenigen Georgier ab, die im Ausland leben und ihre Stimme nicht abgegeben konnten, haben landesweit nur noch etwas mehr als ein Drittel der Wohnbevölkerung für die Regierung Saakaschwili gestimmt, in den Städten, vor allem in Tiflis, höchstens ein Viertel. Von den Direktmandaten in den größeren Städten des Landes ging nur eines, das von Gori, an die regierende Vereinigte Nationale Bewegung (UNM). Poti, Kutaissi, Telawi, sogar Batumi, das Saakaschwili zu einem prosperierenden Tourismuszentrum ausbauen wollte, gingen an den Georgischen Traum (GD). Damit dürfte dann auch der Traum vom Trump-Tower in Batumi und anderen Phantasie-Projekten ausgeträumt sein. Auch Lazika, die Phantomstadt am Schwarzen Meer, wird auf den Prüfstand gestellt werden, und vieles mehr.

Ihren Rückhalt hat die Regierung vor allem im ländlichen Raum der Regionen Kachetien, Niederkartlien, Samzche-Dschawacheti, Ratscha und Mingrelien, mithin in Wahlkreisen, die mehr oder weniger dünn besiedelt sind. Das Patt bei den Direktmandaten zwischen den beiden Lagern ist auf die erheblichen Unterschiede in den Wahlkreisgrößen zurückzuführen, die die Mandatsverteilung zugunsten der bisherigen Regierung verzerrt. Bei ausgeglichen zugeschnittenen Wahlkreisen – die 13 kleinsten Wahlkreise haben zusammen weniger Wahlberechtigte als der größte (Kutaissi) – hätte der Georgische Traum vermutlich eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament erreicht. Da wird man wohl zur nächsten Parlamentswahl einiges im Wahlsystem nachzubessern haben.

Das Wahlergebnis ist also zunächst eine vernichtende Niederlage für Saakaschili und seine Regierung. Die Verantwortung dafür trägt alleine der Staatschef, dessen alles dominierende Personality-Show der letzten Monate von den Menschen einfach nicht mehr abgenommen wurde angesichts der großen sozialen und wirtschaftlichen Probleme des Landes

Die Wahlen waren alles in allem sauber organisiert, sieht man von ein paar wenigen Zwischenfällen in einigen Wahllokalen und den unappetitlichen Kampagnen im Wahlkampf einmal ab. Im Vergleich zu allen früheren Wahlen seit der Unabhängigkeit Georgiens wurden unbestreitbar große Fortschritte erzielt. Das Ergebnis spiegelt eindeutig die Stimmung im Lande wieder, der Regierungswechsel wurde in einer für Post-Sowjetstaaten nahezu einmaligen Art und Weise herbeigeführt. Wenn jetzt noch die Regierungsbildung entgegen allen Mutmaßungen der nach wie vor übel wabernden Gerüchteküche ohne Komplikationen verläuft, dann hat das Land in diesen Wochen eine demokratische Reife bewiesen, die ihm kaum jemand zugetraut hätte.

Wie geht es jetzt weiter? Zwanzig Tage nach der offiziellen Bestätigung von mindestens zwei Drittel der gewählten Abgeordneten muss der Staatspräsident das neue Parlament zu seiner konstituierenden Sitzung einberufen. Etwas kompliziert wird es dann mit der Regierungsbildung. Nach der bis Oktober nächsten Jahres, dem Ende der zweiten Amtszeit von Saakaschili als Staatspräsident, noch geltenden Verfassung hat dieser noch weitgehende Vollmachten, was die Ernennung vom Kabinett oder auch die Außenpolitik angeht. Wenn das nach den Wahlen abgegebene Versprechen Saakaschwilis, der neuen Regierung nicht im Wege stehen zu wollen, eingehalten wird, wird er dem Parlament eine Ministerriege vorschlagen müssen, die ihm sein größter politischer Gegner, Bidsina Iwanischwili, vorlegen wird. Nach der Bestätigung durch das Parlament wird dann die neue Regierung die Amtsgeschäfte übernehmen. Und dann muss sich erst beweisen, ob Präsident und die neue Regierung in dem jetzt noch bevorstehenden Jahr der Präsidentschaft Saakschwilis trotz aller politischen Gegensätze miteinander kooperieren oder eher gegeneinander arbeiten. Diese demokratische Prüfung müssen beide erst noch bestehen, soll das bis jetzt äußerst positive Urteil zu diesem Urnengang Bestand haben. Und dann hat die neue Regierung drei Jahre Zeit, sich zu bewähren. Die nächste Wahl wird Iwanischwilis Parteienbündnis dann aus eigener Kraft gewinnen müssen. Und die Vereinigte Nationale Bewegung wird zeigen können, dass sie politisch mehr kann als nur Posten und Pfründe zu verwalten, nämlich Opposition. Und dass sie mehr ist als eine Versammlung von Gefolgsleuten eines charismatischen Führers. Politik in Georgien ist ab sofort wieder interessant.